
MYSTORY mit …
Safir
31 Jahre, Berlin
„Ich vergaß, dass ich mir Flexibilität, Experimente
und Unvollkommenheiten auf meinem Weg leisten konnte;
dass ich in Überschneidungen und Gleichzeitigkeiten, in Vielfältigkeit leben konnte…..“
Veröffentlicht: Dezember 2022
Identitäts-Updates.
Vor kurzem hat mich eine Freundin per Text gefragt: „Bist du nicht-binär?“.
Ich habe zuerst vor meinem Telefon gelacht, denn für mich war es einfach das Offensichtlichste. Meine Pronomen sind überall zu sehen, von Instagram bis LinkedIn, ich poste gelegentlich ein nicht-binäres Meme auf Instagram, habe meine „they/them“ sogar in meiner Mailsignatur; insgesamt lebe ich ein ziemlich offenes Leben.
Ich wusste auch, dass diese Person es nicht böse meinte, die Frage kam aus echtem Interesse und Fürsorge. Dennoch fand ich es komisch, weil mir eines klar wurde: Ich hatte einfach vergessen, mich ihr gegenüber zu outen, und trotz aller Anzeichen war sie sich nicht sicher, weil ich ihr wie ein Mann erschien. Ich präsentierte mich wie ein Mann, also war ich auch einer, oder? Ich vergaß, dass es wichtig war, die Leute über alle „Updates“ in Bezug auf Geschlecht, Sexualität, Religion usw. zu informieren.
Ich hatte mich so sehr daran gewöhnt, meine Identität zur Schau zu stellen, dass ich schließlich vergaß, dass ich sie von Zeit zu Zeit aktualisieren musste und, dass sie in Wirklichkeit gar nicht so offensichtlich war. Die Leute kannten mich schon seit Jahren als Safir, Algerier_in, queer, schwul, Ex-Muslim_in, cisgender, ohne körperliche Behinderung, Immigrant_in, mit niedrigem Einkommen usw. Da ich so viele Jahre brauchte, um mich damit abzufinden, wie sehr ich mich von allen anderen auf der Welt unterscheiden würde, habe ich meine Identität unbewusst „festgelegt“, so wie manche sich auf Verträge festlegen.
Ich vergaß, dass ich mir Flexibilität, Experimente und Unvollkommenheiten auf meinem Weg leisten konnte; dass ich in Überschneidungen und Gleichzeitigkeiten, in Vielfältigkeit leben konnte.
Es ist für mich nicht erforderlich mich einzugrenzen, damit ich in irgendwelche vorgefertigten Schubladen passe.
Meine Antwort auf die Nachricht lautete daher: „Ja, bin ich. Lass uns am Wochenende darüber reden :)“. Nach diesem Austausch musste ich darüber nachdenken, wer ich war.
War ich tatsächlich Algerier_in? Natürlich war ich das, aber ich hatte inzwischen auch herausgefunden, dass ich mich insgesamt viel mehr mit meinen amazighischen und afrikanischen Wurzeln identifizierte als mit einer Nationalen.
War ich queer? Auch das war ziemlich sicher. Schwul? Nun, das bedurfte eigentlich eines kleinen Updates. Mit 18 Jahren habe ich mich zum ersten Mal als bisexuell geoutet, aber die Leute sagten mir damals immer, dass ich schwul sei, also habe ich es als mein Schicksal akzeptiert, ohne es zu hinterfragen. Mehr als 10 Jahre später muss ich es ganz klar sagen: Ich bin nicht schwul. Ich bin in der Tat näher an der Omnisexualität als an irgendetwas anderem, aber ich akzeptiere auch die Bezeichnung pansexuell.
Was ist mit Ex-Muslim_in? Schwierige Frage. Ich habe diesen Teil von mir so lange verleugnet, weil ich das Gefühl hatte, dass die Gesellschaft diesen Teil von mir am meisten hasst (sogar noch mehr als mein Queersein, ist das zu glauben?). Heute kann ich zugeben, dass es Teil einer notwendigen Überlebensstrategie war, um mich davon zu distanzieren, wie wir auf der ganzen Welt wahrgenommen wurden. Ich hatte gehofft, dass ich dadurch die Chance hätte, weltweit besser behandelt zu werden. Ehrlich gesagt haben mich die Jahre gelehrt, dass ich, egal wie weit ich mich von der muslimischen Kultur (meiner Kultur) entfernte, immer und ewig unter Islamfeindlichkeit leiden würde, sodass ich mir meinen Glauben zu eigen machen konnte. Ich versuche jetzt auch, mich dem Islam aus einer erwachsenen, nicht wertenden Perspektive zu nähern und ich muss gestehen: Es steckt viel Schönheit und Frieden darin.
Cisgender Safir? Nun, das war eine eklatante Lüge. Ich wusste immer, dass ich nicht in das binäre Geschlechtsspektrum falle, aber ich habe mich selbst und alle anderen belogen, weil es zu schwierig war zuzugeben, dass ich die gängige Vorstellung davon, was Geschlecht ist, „überschreiten“ würde, dass die meisten Menschen das nie verstehen würden. Es war eine so befreiende und freudige Erfahrung, mit einer_m meiner besten Freund_innen zum ersten Mal darüber zu sprechen. Die Augen öffneten und weiteten sich mit einer unglaublichen Wärme. Ich sagte, dass Geschlecht für mich ein Konstrukt ist, das ich nur schwer verstehen kann, dass ich mich weder als Mann noch als Frau fühle, weder männlich noch weiblich, dass ich mich nicht wie 50/50 fühle, sondern eher wie gar nicht. Ich verstehe zwar, wie wichtig das Geschlecht für manche ist und respektiere es, aber ich möchte nicht, dass das Geschlecht mich definiert, ich fühle mich weit davon entfernt, als wäre es für mich nicht wichtig. Heute würde ich mich selbst als Agender bezeichnen: eine Person, die sich nicht einem Geschlecht zugehörig fühlt. Mein_e beste_r Freund_in empfing die Nachricht mit einem Lächeln, einer Umarmung und einer einfachen Frage: „Wirst du von nun an ein bestimmtes Pronomen verwenden?“.
Was ist mit meinem Leben ohne körperliche Behinderung? Bis heute stimme ich dieser Aussage zu, aber wer weiß, was in der Zukunft passieren wird? Ich könnte noch weiter über all die anderen Seiten meiner Identität schreiben, aber ich glaube, Ihr habt es schon verstanden. Updates sind für mich notwendig. Nicht nur für andere, sondern vor allem für sich selbst. Wenn ich mich regelmäßig selbst frage, wie ich mich fühle, bekomme ich ein tieferes Verständnis dafür, wer ich als Individuum und als Teil unterschiedlicher Communities bin. Im Wissen liegt so viel Kraft.
Mein Coming-Out war nie linear (und wird es auch nie sein).
Es geschieht immer noch jeden Tag: montags über das Geschlecht, mittwochs über die Sexualität. Am wichtigsten ist, dass es sich in mir jeden Morgen verändert. Immer nur leicht, aber fließend. Ist meine Erfahrung einzigartig? Wahrscheinlich nicht. Ist meine Erfahrung universell? Absolut nicht! Sollten wir also von jeder_m erwarten, dass er_sie seine_ihre Erfahrungen genauso lebt wie wir? Nach der westlichen Ideologie scheint es, dass sich jede_r outen sollte.
Glaubt mir, unsere einmaligen Erfahrungen sollten niemals zur Regel gemacht werden. Ein Coming Out ist nicht obligatorisch. Man kann auch ein schönes, gesundes und positives Leben führen, ohne solch intensive Momente durchleben zu müssen. Einige von uns werden sich nie outen und wir sollten niemanden dazu zwingen. So wie wir uns selbst empowern, sollten wir auch anderen in ihren eigenen Erfahrungen empowern.
Safir, vielen Dank für YourStory!

MYSTORY mit …
Jay
53 Jahre, Einbeck
„Meine Reise begann mit einem Ende und
einem Anfang, und dieses Ende machte am
Ende meinen wahrhaftigen Neuanfang als
nicht-binäre Person möglich. …“
Veröffentlicht: November 2022
Ein Neuanfang.
Am 6. März 2020 begann die bisher ungewöhnlichste Reise meines Lebens. Sie begann mit einem Ende und einem Anfang, und dieses Ende machte am Ende meinen wahrhaftigen Neuanfang als nicht-binäre Person möglich. An diesem Tag endete mit dem Tod meiner Beziehungsperson die Liebe meines Lebens. Ich war unendlich dankbar für die 23 Jahre, die ich aller Unkenrufe zum Trotz, mit ihr verbringen durfte.
Eine Liebe, die selbst uns Liebenden am Anfang so ungewöhnlich erschien, dass wir uns damals gefragt haben: „Kann unsere Beziehung wirklich funktionieren und gutgehen?“ Wir haben beschlossen, das Risiko einzugehen. Meine große Liebe war und blieb bis zu ihrem Tod, mit ihrem Ehemann verheiratet und hatte drei Kinder, die zu Beginn unserer Beziehung, zwischen 6 und 13 Jahren alt waren. Sie war 12 Jahre älter als ich. Wir lebten 23 Jahre lang eine ungewöhnliche, öffentlich bekannte, Patchwork-Regenbogen-Familien-Beziehung. Sie fehlt mir bis heute.
Heute bin ich sogar dankbar für diese Leere, die ihr Fehlen in meinem Leben hinterlassen hat. Ich bin auch dankbar, dass mich der kurz nach ihrer Beerdigung gestartete Corona-Lockdown auf mich selbst zurückgeworfen hat. Durch das Fehlen von externen Ablenkungen vermochte ich diese Zeit zur inneren Sammlung und meine Neuorientierung nutzen. An vielen einsamen Abenden auf meinem Balkon, begann ich nach Antworten auf Lebensfragen zu suchen und neue Ziele zu definieren.
„Wo sollte mein Weg nun hinführen?“ „Wie will ich leben?“ „Was sind meine Ziele?“
Ich fand damals mehr Fragen als Antworten. Ich entdeckte in mir Verließe und verschlossene Türen, dunkle Höhlen und verschüttete Schächte. Was mir fehlte, war Licht. Je tiefer ich stieg, umso geringer wurde meine Hoffnung, allein Antworten zu finden, die Licht in das Dunkel bringen konnten. Ich gestand mir ein, dass ich nicht alle Fragen allein beantworten konnten, und holte mir eine professionelle externe Reisebegleitung in Form eines Coachings.
Es stellte sich schnell heraus, dass ich mir die richtigen Fragen zum falschen Zeitpunkt gestellt hatte. Ende 2020 war ich noch viel zu sehr in den gesellschaftlichen Normen und Konventionen der Heteronormativität um mich herum und in meinen eigenen inneren Glaubensätzen gefangen. Diese Gedanken und Konventionen blockierten meinen Weg zu den Antworten.
Ich wollte, nein ich musste etwas Neues ausprobieren, so wie damals im Urlaub in Kanada. Täglich hatte ich mich damals für das klassische englische Frühstück entschieden. Das kanadische Frühstück mit French Toast (Arme Ritter), knusprigem Speck und Ahornsirup erschien mir eine zu absurde Kombination zu sein. Speck und Ahornsirup?! Ein mit Ei getränktes Weißbrot, statt Ei auf dem Weißbrot und Speck extra dazu. Ich vermochte mir diese Kombination aus süß und salzig nicht als lecker vorzustellen. Eines Morgens sah dieses Essen am Nachbartisch so lecker aus, dass ich mich getraut habe, es auch zu bestellen und zu probieren. Es war eine Offenbarung und eine Symbiose von Gegensätzen, die mir, so kombiniert, ein völlig neues, unglaubliches Geschmackserlebnis verschafft haben. Für diese Erfahrung war es notwendig, alte Ideen und Konzepte (wie Geschmackserfahrungen) zu ignorieren.
Meine Erfahrungsprozess direkt vor meinem nicht-binären Coming Out verlief sehr ähnlich, jedoch sehr viel intimer. Auch in diesem Prozess ging es um die Vereinbarung von Gegensätzlichen und um Neuland. Die Sätze, die mir vor diesen Entscheidungen durch den Kopf gingen, waren auf der einen Seite „Traue ich mich wirklich? Was passiert, wenn es eine absurde Erfahrung ist?“ und auf der anderen Seite „Ich bin so gespannt! Ich kann es kaum erwarten.“ Ich, (damals noch Judith – Geschlecht: weiblich; Geschlechtsidentität: „Butch“; sexuelle Orientierung: lesbisch), habe mich mutig entschieden, etwas völlig Neues und Ungewohntes auszuprobieren und dabei alte Pfade zu verlassen. Mit einem neugierigen Anfängergeist habe ich mich auf eine neue Erfahrung eingelassen.
Beschenkt wurde ich mit Antworten auf Fragen, die mich mein gesamtes Erwachsenenleben begleitet haben. „Wer bin ich?“ „Wer oder was ist meine Identität?“ „Wieso fühle ich mich stets „zwischen den Stühlen“ sitzend/stehend?“ Diese Fragen haben mich viele Lebensjahre begleitet.
Ich habe in diesem Erfahrungsmoment meine vorgefertigten Gedanken über Geschlecht und Geschlechtsidentitäten losgelassen und mich von Konvention und Schicklichkeit befreit.
Ich habe Judith losgelassen, oder anders ausgedrückt, Judith hat sich verabschiedet und im gleichen Moment bin ich zu Jay transformiert.
Als Jay (Geschlecht: divers; Geschlechtsidentität: nicht-binär; sexuelle Orientierung: Frauen liebend) fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben ganz und vollständig. Mir war klar, dass ich nun einen neuen Namen und ein neues Geschlecht hatte. Nach 50 Jahren endete die Suche nach meiner wahren Identität in einem wahrhaftigen Neuanfang; eine neue Geburtsurkunde machte dies sehr bald sogar amtlich.
Es stand für mich außer Frage, diese innere Transformation auch nach außen hin sichtbar zu machen. Manchmal mahlen auch bürokratische Mühlen schnell. Im Februar erhielt ich ein Attest von meinem Hausarzt, stellte damit einen formlosen Antrag auf Geschlechts- und Namensänderung beim Standesamt und erhielt zeitnah einen offiziellen Termin für die mündliche Antragsstellung.
Es war am 18. Februar 2021, als ich vom Standesbeamten meines Ortes meine neue Geburtsurkunde mit neuem Namen und neuem Geschlecht ausgehändigt bekam. Ich schrieb damit Einbecker Stadtgeschichte, als erste Person mit einem diversen Geschlechtseintrag im Geburtenregister der Stadt. Ich bin sehr dankbar für alle Erfahrungen und Erlebnisse, für alle Menschen, die zu diesem Moment ihrem Beitrag geleistet haben. Ich danke allen Menschen für ihre, mir bei diesem Coming Out entgegengebrachte, Wertschätzung, Verbundenheit und Mitfreude.
Jay, vielen Dank für YourStory!

MYSTORY mit …
VICKY
33 Jahre, München
„Über die Jahre wurde Drag ein immer größerer
Teil von mir, der für mich nicht nur eine Kunstform
darstellt, sondern auch die spielerische
Konfrontation mit meiner Persönlichkeit zulässt. …“
Veröffentlicht: Oktober 2022
(M)eine reise in drag.
Vicky Voyage ist immer eine Reise wert.
Mit meiner Drag Persönlichkeit Vicky Voyage nehme ich euch mit auf eine abwechslungsreiche Spritztour in die Welt der Drag-Kunst. Mit Charisma und Witz präsentiere ich als internationale Performerin, Moderatorin und Unterhalterin durchdachte und clevere Konzepte mit extravaganten Outfits und starkem Make-Up. Ich serviere auf meinen Stopps verschiedensten Augenschmaus: Unter anderem war ich als fulminante Feuerfee (CSD München 2018), als schillernder Schmetterling (CSD München und Wien 2019), sagenumwobene Schneekönigin (Drag Voyage Kalenderprojekt 2022) und auch als liebevolle Lokalmatadorin im Dirndl (auf verschiedenen Events) unterwegs. Auf Galas und Parties, in Shows und im Theater: Mit Pole Dance, einem Hauch von Akrobatik oder auch nur mit meiner prallen Präsenz lade ich das Publikum zum Staunen ein.
Über die Jahre wurde Drag ein immer größerer Teil von mir, der für mich nicht nur eine Kunstform darstellt, sondern auch die spielerische Konfrontation mit meiner Persönlichkeit zulässt.
Nachdem die Pandemie – nach vielen verschiedenen Veranstaltungen – die Welt schließlich nahezu zum Erliegen brachte, kam mir, während der Lockdown-Phase, die Idee zum ersten professionellen Drag Kalender Deutschlands. Auftritte waren nicht möglich, Projekte fielen weg – ein neues musste her. Da sich die Drag Szene auch in Deutschland weiterentwickelt hat, wollte ich mit dem Kalender gerne einen kleinen Einblick in die Facetten verschiedener Charaktere geben und euch zusammen mit anderen Künstler:innen mit auf meine Reise durch die wunderbare Welt des Drag nehmen. Entdeckt mit mir fabulöse Kings & Queens aus München und Augsburg und wie sie mit diverserer und kunterbunter Kunst spielen, immer geleitet von der Frage: Was bedeutet Drag für die Künstler:innen, was bedeutet es für dich?
Mit dem Bild, das ihr seht, das Motiv für den Dezember 2022, wollte ich etwas ganz bestimmtes ausdrücken. Mein Thema war:
#legendary: I write my own story and walk my own path – preferably in high heels.
Angelehnt an Aschenputtel soll das Bild verdeutlichen, dass ich nicht auf meinen Prinzen warten muss, bis ich ein erfülltes Leben haben kann, sondern dass ich als starke Persönlichkeit meinen eigenen Weg wählen und gestalten sowie dabei für mein eigenes Glück verantwortlich sein kann.
Für den Verkauf des Kalenders habe ich nicht nur meinen eigenen Webshop eingerichtet, sondern habe mit verschiedenen Händler:innen zusammengearbeitet, die in ganz Deutschland und auch in Österreich und der Schweiz den Kalender vertrieben haben. Obwohl das Produkt „Kalender“ im Jahr 2022 nicht mehr in jedem Haushalt zu finden ist und die Drag-Motive nicht alle Menschen gleichermaßen anspricht, wurde der Kalender mit unseren persönlichen und ausdrucksstarken Bildern quer durch die Gesellschaft gut angenommen. Es wurden fast alle 1.000 Exemplare verkauft oder sozialen Projekten gewidmet. Es waren tolle neue Erfahrungen und das ganze Team kann stolz auf das Ergebnis sein. Hier nochmals ein herzliches Dankeschön an alle, die so motiviert mitgewirkt und zum erfolgreichen Endergebnis beigetragen haben.
Da ich hoffe, dass sich die Corona-Situation bessert und wieder mehr Möglichkeiten zugelassen werden, widme ich mich 2022 und auch den nächsten Jahren als Unterhalterin, Moderatorin, Performerin oder auch Organisatorin wieder verstärkt Events, da darf zum Beispiel der CSD in München nicht fehlen oder auch eine Drag Show in meiner Allgäuer Heimat, die für 2023 geplant ist.
Zudem will ich zukünftig gerne versuchen, meinen Ingenieurwesen-Hintergrund verstärkt mit meiner Kunst zu verbinden, denn die Reise von Vicky Voyage ist noch lange nicht zu Ende.
Liebe VICKY, vielen Dank für YourStory!

Kampagne: #BiVisible
zum diesjährigen Bi+ Visibility Day
Das Ziel der Kampagne ist, bisexuelle Menschen zu stärken und gemeinsam durch eine große Anzahl an Teilnehmer_innen Sichtbarkeit zu schaffen sowie die Vielfalt bisexueller Personen zu verdeutlichen.
Als bisexuell verstehen wir alle Menschen, die romantische und/oder sexuelle Beziehungen nicht ausschließlich zu Menschen eines bestimmten Geschlechts führen.
Die Kampagne wurde gemeinsam von der PROUT AT WORK-Foundation und Accenture initiiert.
#BiVisible – Bi+ Visibility Day 2022
Der Bi+ Visibility Day wird seit 1999 jährlich am 23. September gefeiert um auf die komplexen Lebenswirklichkeiten bisexueller Menschen aufmerksam zu machen. Im Rahmen dieses Tages haben wir bisexuelle Personen gefragt, wie sie (ihre eigene) Bisexualität erleben und was sie sich im Bezug darauf wünschen. Ihre Antworten haben wir hier für Sie zusammengetragen:

Sarah Schiller (sie / ihr), Head of Trial Molds Replacement – R&D Tires, Continental
Wie erlebst Du das Thema Bisexualität auf der Arbeit aktuell?
In der Ingenieurswelt erlebe ich vorallem heterosexuelle Männer, die zwar irgendwann homoerotische Erfahrungen gemacht haben, sich aber von bi+ oder homo+ distanzieren. Bi+ passt anscheinend nicht so recht in die Vorstellungswelt der Kolleg*innen. Bi+ wird hier auch oft mit Promiskuität oder mangelnder Entscheidungskraft in Verbindung gebracht.
Wie möchtest Du als bisexueller Mensch gesehen werden?
Zuschreibungen, die auf Vorurteilen basieren, empfinde ich als ungerecht. So bin ich zum Beispiel aus eigener Entscheidung monogam, habe also „trotz“ bi+ normalerweise eine Beziehung zu genau einer Person. Da möchte ich keine Wertung poly/mono verstanden wissen; alle sollen nach ihrer Facon glücklich werden. Mir ist vor allem wichtig, dass ich gesehen werde, wie ich bin.
Wie kann das Thema auf der Arbeit vorangetrieben werden?
Awareness ist hier wie für die meisten LGBTQIA Themen der Schlüssel, um mit Vorurteilen aufzuräumen, und um unreflektierte Verletzungen in Zukunft zu vermeiden. Deswegen sind Visibility Kampagnen wie der Bi+ Visibility Day so wichtig!
Wie erlebst Du das Thema Bisexualität auf der Arbeit aktuell?
Ich bin Solo Mutter und bisexuell. Ich werde erstmal nicht als bisexuell oder als Teil der LGBT* Community wahrgenommen, da ich ein Kind aus einer Beziehung mit einem Mann habe. Wenn ich Kollegen erzähle, dass ich aktiv in der LGBT* Community der Firma bin, sind sie erstmal verwirrt. Wenn ich mich dann als bisexuell oute, sind die Reaktionen aber bisher meist neutral. Ich habe allerdings auch schon erlebt, dass eine lesbische Kollegin im Rahmen eines LGBT Treffens der Firma das Interesse in dem Austausch mit mir plötzlich sehr offensichtlich verlor, als ich ihr sagte, ich bin bisexuell. Dass selbst die LGBT* Community bisexuelle Leute nicht ernst nimmt ist leider oft Realität. Ich habe auch schon Sprüche gehört wie „als du lesbisch warst“ oder „als du in dem anderen Team gespielt hast“ und so fühlt man sich als bisexueller Mensch nicht verstanden. Auch wenn die Reaktionen neutral sind, bin ich mir also nicht sicher, was die Kollegen darüber denken und was für Vorurteile sie haben. Mir ist aber wichtig, mich outen zu können, denn meine Bisexualität macht viel von meiner Geschichte und von mir selbst aus.
Wie möchtest Du als bisexueller Mensch gesehen werden?
Ich verliebe mich in einen Menschen. Unabhängig von dem Geschlecht. Bisexualität ist für mich keine Phase, ich bin nicht verwirrt, ich weiß ganz genau was ich für mich in einer Beziehung wünsche. Der Weg dorthin war dennoch nicht einfach für mich, denn ich dachte selbst lange Zeit, ich muss mich „für eine Seite“ entscheiden und outete mich als lesbisch. Irgendwann musste ich mich nochmal outen, diesmal als bisexuell, als ich verstand dass ich mich auch in Männer verlieben kann und das ok ist. Meine nicht-binäre sexuelle Orientierung wurde lang nicht aufgenommen. Das macht einfach meine Geschichte und meine Erfahrungen aus.
Wie kann das Thema auf der Arbeit vorangetrieben werden?
Dem Thema Bisexualität Raum geben, wenn man in der Firma über die LGBT* Community spricht (Vorträge, Diversity & Inclusion).

Rafaella Fabris (sie / ihr), Quality Manager, Infineon Technologies

Frank thies (er/ihm), Verbeamteter lehrer, diversitätsbeauftragter
Wie erlebst Du das Thema Bisexualität auf der Arbeit aktuell?
Ich bin an meiner Schule nicht nur Lehrer, der sich schon seit Langem für Vielfalt einsetzt, sondern auch Diversitätsbeauftragter, der berät und einige Projekte in Gang bringt. Ich bin als bisexuell geoutet. Kolleg*innen haben mich auf Zeitungsinterviews angesprochen und gratuliert. Sie finden das gut. Mittlerweile erlebe ich auch, dass sich immer mehr Schüler*innen outen – vor allem als bisexuell, non-binary oder trans*. Schwule und bisexuelle Jungs sind da aber eher zurückhaltend. Wir hissen zum 23.9. auch die Bi-Flagge an der Schule.
Wie möchtest Du als bisexueller Mensch gesehen werden?
Grundsätzlich ist natürlich meine Bisexualität nur eine Eigenschaft unter vielen bei mir. Ich bin auch noch kreativ, zuverlässig, empathisch, oft ungeduldig, albern, liebe Brett- und Kartenspiele, Fantasy, Schreiben und Yoga. Aber Sichtbarkeit spielt schon eine Riesenrolle für Bi+sexuelle, weil sie eben immer wieder übersehen oder sogar aktiv unsichtbar gemacht werden. Ich finde, Bisexualität ist eine Bereicherung, deswegen möchte ich, dass das als eine schöne Seite gesehen wird.
Wie kann das Thema auf der Arbeit vorangetrieben werden?
Durch Vielfalts- und Diversity-AGs, durch Bi-Flaggenhissungen, durch eine Selbstverständlichkeit, dass Menschen sich in Menschen verlieben können, und das kann auch abwechselnd verschiedene Geschlechter sein. Und es können auch mehrere Menschen gleichzeitig sein. Durch Unterstützen des Bi+Prides. Teilnahme bei #TeachOut (falls man etwas mit Bildung zu tun hat). Ein eigenes Coming-out macht anderen Mut, daher wenn man einen guten Stand auf der Arbeit ist, beliebt ist und/oder mutig – worauf wartest Du? Wenn nicht für Dich – dann für andere!
PANELGEsPRÄCH ZUM BI+ VISIBILITY DAY
Neben der Bi+ Hashtag Kampagne wird am 23. September ebenfalls eine Paneldiskussion stattfinden. Bei dieser sprechen wir mit bi_sexuellen Personen über die (Un)Sichtbarkeit von Bisexualität in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz, Biases und was jede_r einzelne machen kann, um zu einem besseren, offeneren Umfeld für Bi+ Menschen beizutragen. #WeAreFamily
Die Paneldiskussion ist für alle Interessierte kostenlos und findet von 17:00 bis 18:30 Uhr statt.
Tipps für Bisexuelle Personen
Ein bisexuelles Coming Out kann auch heute immer noch mit Schwierigkeiten und Diskriminierungserfahrungen verbunden sein. Wenn es Ihnen hilft,
- Suche Dir Verbündete / Role Models im Unternehmen.
- Vernetze Dich mit dem LGBT*IQ-Netzwerk.
- Such Dir Unterstützung im Umgang mit unpassenden Kommentaren oder diskriminierendem Verhalten.
- Denk immer daran: Du bestimmst den Zeitpunkt und die Art Deines Coming Outs.
Tipps Für Unternehmen
- Für Unconscious Bias sensibilisieren
- Klare Anforderungsprofile schaffen
- Einstellungsverfahren anonymisieren
- Aufbau / Stärkung des internen LGBT*IQ-Netzwerks
TIpps für Allies
- Informiert Euch über bisexuelle Themen.
- Nutzt eine genderinklusive Sprache.
- Fetischisiert keine bisexuellen Beziehungen.
- Setzt Euch für die Rechte und gegen die Diskriminierung von bisexuellen Personen ein. Unterstützt beispielsweise die Aktion nodoption, die sich gegen die Stiefkindadoption bei Regenbogenfamilien und für die Anerkennung der Elternschaft einsetzt.
Mehr über Bisexualität und den Bi+ Visibility Day
Bi+Pride
Bi Berlin
Queer Lexikon
Beratungsstellen
LIBS – Lesben Informations- und Beratungsstelle e.V.
LIBS e.V. ist psychosoziale Beratungsstelle und gemeinnütziger Verein mit dem Ziel, den Ursachen und Folgen gesellschaftlicher Diskriminierung von lesbischen und bisexuellen Mädchen und Frauen entgegenzuwirken – sei es aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung.
Regenbogenfamilien München
Die Fach- und Beratungsstelle Regenbogenfamilien setzt sich dafür ein, gesellschaftliche Bedingungen, die Regenbogenfamilien aller Farben benachteiligt, totschweigt oder unsichtbar hält, zu verändern und zu verbessern.
Rosa Strippe
Der gemeinnützige Verein Rosa Strippe befasst sich mit den individuellen und gesellschaftlichen Problemen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans* Personen und intersexuellen Menschen und leistet ihnen Hilfestellungen zur Lösung ihrer Probleme.
Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!
Bei weiteren Fragen stehen wir Ihnen in unserer Geschäftsstelle zur Verfügung.

MYSTORY mit …
RUTH
25 Jahre, Hamburg
„trotzdem, oder gerade dadurch, dass ich kaum
von Queerfeindlichkeit betroffen bin, motivieren mich
meine Erfahrungen und auch die anderer, öffentlich für
Aufklärung und Rechte vonLGBTQ+ Personen einzustehen. …“
Veröffentlicht: September 2022
BI-Lieve in me.
Ich habe es lange als Privileg betrachtet, dass man mir meine Bisexualität nicht ansieht. Es ist Fluch und Segen zugleich, dass man einerseits durchschnittlich weniger Queerfeindlichkeit erfährt, wenn man beispielsweise in einer hetero-aussehenden Partnerschaft lebt – andererseits dadurch aber auch nicht immer die volle Zugehörigkeit zu der LGBTQ+ Community erlebt, oder zu vorschnell entweder als homo- oder heterosexuell abgestempelt wird, ganz abhängig von dem_r Partner_in an der eigenen Seite. Solche Erfahrungen sind, verglichen zum Gesamtbild von queerer Diskriminierung, weniger schlimm und gut wegzustecken, ob im politischen Feld, im privaten oder im beruflichen Umfeld, wobei letzteres in meinem Fall das Shine Netzwerk bei PwC Deutschland ist.
Trotzdem, oder gerade dadurch, dass ich kaum von Queerfeindlichkeit betroffen bin, motivieren mich meine Erfahrungen und auch die anderer, öffentlich für Aufklärung und Rechte von LGBTQ+ Personen einzustehen.
Der Pride Month ist nicht nur für Schwule und Lesben reserviert – und die Gesellschaft hat in ihrer Entwicklung noch einen weiten Weg vor sich, um bei queeren Themen nicht nur an das „L“ und „G“ in LGBTQ+ zu denken, sondern allen queeren Personen die gleiche Behandlung zukommen zu lassen. Besonders Themen abseits von der gewohnten Binarität sind für viele noch kaum ein Begriff oder aber so fremd und unverständlich, dass es da einfach ist, wegzuschauen und Queerness mit bewährten queeren Rollenvorstellungen wie zum Beispiel nur schwule Männer zu assoziieren. Die Community ist jedoch um einiges vielfältiger und sollte als Ganzes auch die entsprechende Sichtbarkeit erfahren.
Zugegebenermaßen muss ich aber auch sagen, dass ich persönlich Coming Outs und Labels teilweise als unglaublich erdrückend und überholt empfinde. Ganz nach dem Motto „wieso müssen Heteros das nicht?“ kommt manchmal der Gedanke auf, wie unfair es ist, dass queere Menschen etwas so Persönliches wie ihre Sexualität erst einmal öffentlich mitteilen müssen, damit man danach nicht aufgrund der Wahl der Partner_innen komisch angeschaut wird. Ich erkenne aber durchaus, dass das ein aktuell noch sehr privilegierter Standpunkt meinerseits ist.
Die meisten haben nicht den Luxus eines so offenen Umfelds, dass jegliche Art von Queerness ohne großes Aufsehen sofort akzeptiert wird, dabei sollte es heutzutage eigentlich selbstverständlich sein. Leider betonen jedoch vergangene, aber auch aktuelle Ereignisse wie zuletzt der Angriff in Oslo, nur wiederholt, wie wichtig Sichtbarkeit jeder Art ist – und zwar nicht nur im Juni zum Pride Month als Pinkwashing Kampagne der gängigen Konzerne, sondern das ganze Jahr über ohne monetäre Gegenleistung. Ob im Büro, auf der Straße oder privat:
Sichtbarkeit schafft Akzeptanz, löst längst überfällige Normen auf und erleichtert das Leben besonders denjenigen, die ihre Queerness aus Angst vor Diskriminierung oder Anfeindungen (noch) nicht offen leben können.
Ich hoffe daher, dass der aktuelle gesellschaftliche Wandel sich so lange stetig vorwärtsbewegt, bis keine Person mehr wegen ihrer Identität in Angst leben muss – was im besten Fall nicht mehr allzu lange dauern wird.
Liebe Ruth, vielen Dank für YourStory!

MYSTORY mit …
Bakry
42 Jahre, Berlin
„Jede erlebte Diskriminierung in einem
bestimmten Kulturkreis ermöglichte es meinem
Verstand, mich gegen Unterdrückungen und
Mikroaggressionen anderer sozialen Gruppen zu wappnen. …“
Veröffentlicht: Juni 2022
Verwobene Identitäten.
Ich bin Mischling, Cis-Mann, mittleren Alters, homosexuell, ohne bisher festgestellte Behinderung, Franzose, kein deutscher Muttersprachler (der akzent- und fehlerfrei Deutsch spricht), aus dem Proletariat kommend, der einen Bildungsaufstieg erlebt hat. Ich bin das alles und sogar noch viel mehr.
Das Coming Out ist mir fremd, würde ich sagen. Als ich ungefähr 18 war, arbeitete ich für das Hotel Central, eines der ersten gay Etablissements aus den 80ern in Paris. Nach meiner ersten Schicht erzählte ich meiner Mutter meine ersten Eindrücke über diesen LGBT*IQ-Ort. Sie fragte mich, ob alle meine Kollegen gay seien. Meine Antwort lautete ja. Anschließend fragte sie mich, ob ich selbst schwul sei. Meine Antwort lautete ja. Das war es, meine bedeutungslose kräftige Aussage über meine sexuelle Identität. Alles in allem war es eine paradoxale insignifikante Erfahrung für einen Gay- PoC aus einem proletarischen Migrantenviertel, Ende der 90er. Ich hatte nie das Bedürfnis oder den Zwang, mich zu erklären. Ich war „openly gay“ wie einen Cis-heterosexueller Mann „openly straight“ sein könnte: ereignislos. Einige Monate später, als ich zu meinem ersten Freund umzog, kam regelmäßig mein jüngster Bruder zu Besuch, um mit meinem Freund Videogames zu spielen. Das Leben eben.
Hingegen habe ich mehrmals intersektionale Queer Awakenings erlebt, die ich im Nachhinein begriffen habe. Nach der Lektüre von „Die Rückkehr nach Reims“ von Didier Eribon ist mir bewusst geworden, dass mein Ich-Schwul-Sein eine Rolle in meinem Bestreben, etwas anderes zu werden als das, wozu mich der Determinismus der sozialen Reproduktion trieb, gespielt hat. Tatsächlich fühlte ich mich hingezogen, andere Sphären zu betreten, um meinesgleichen zu begegnen.
Ich verspürte die Notwendigkeit, die widersprüchliche Vielfalt meiner verwobenen Identitäten zu verstehen und sie miteinander in Einklang zu bringen. Das war sinnlos.
Damals, weder in der Gay-Szene noch in anderen subkulturellen Räumen, konnte ich ein Gefühl von kompletter Zugehörigkeit spüren. Egal in welchen sozialen Gruppen ich mich befand, tauchten ausnahmenlos Unterdrückungsmechanismen auf. Es gab kein meinesgleichen, sondern das ewige Ballett von Zuschreibungen und Selbstbestimmungen. Immer wieder beobachtete ich, wie sich die sozialen Interaktionen in binären sozialen Gegensätzen neu definieren ließen. Allerdings: Jede erlebte Diskriminierung in einem bestimmten Kulturkreis ermöglichte es meinem Verstand, mich gegen Unterdrückungen und Mikroaggressionen anderer sozialen Gruppen zu wappnen.
Nehmen wir das Beispiel der Sprache, die über ihre kommunikative Funktion hinaus auch ein strukturierendes Element der Kultur ist. In der Tat kann sie ein Instrument der Stigmatisierung oder eine Zuweisung für soziales Prestiges sein. So half mir die Verve der jugendlich ätzenden Gossensprache der multikulturellen urbanen Welt meines Quartiers, Barbès, sowohl die (un)bewusst rassistisch geprägten Sprüche als auch die ironisch ausgrenzende Schlagfertigkeit der dominierenden weißen Männer der Queer-Community abzuwehren. So half mir der schamlose schwarze Humor der Queer-Szene, mich von meiner Scham über meine proletarische Sprache zu befreien. So half mir die schamlose Kühnheit der Sprache meiner Klasse, fremde Sprachen schamlos mit Akzent und Fehlern zu sprechen. Alle diesen Facetten meiner Identität unterstützen mich bei der Navigation in einer Gesellschaft, deren Normen und Abweichungen ständig verhandelt werden. Man könnte diese Anpassungsfähigkeit als Verstellung wahrnehmen, aber ich würde es als soziale Performativität der Vielfältigkeit eines Individuums bezeichnen.
Mittlerweile war meine PoC-Queer-Identität ein Vorteil bei meiner D&I-Beratungsarbeit mit der Agentur Ozecla in Frankreich, um Unterdrückungsmechanismen und die verzerrenden Filter der Menschen zu dekonstruieren.
Es kam häufig vor, dass in weißen feministischen Milieus die Wechselhaftigkeit der sozialen asymmetrischen Dynamiken in Bezug auf die Verteilung der Machtverhältnisse aufzuklären war. Insofern, als das weiße Frauen darauf hinzuweisen waren, dass sie gegenüber einem Queer schwarzen Mann aufgrund ihrer dominierenden weißen heteronormativen-cisgender Identitäten Unterdrückungsformen ausüben könnten.
Es erfordert viel Resilienz von mir, die Abwehrmechanismen einer unterdrückten Gruppe zu ertragen, wenn ich sie über ihre eigenen Unterdrückungsmechanismen aufkläre. Dieses Phänomen begegnet mir immer wieder in den letzten Jahren auch in Deutschland – sowohl bei meiner D&I-Arbeit in der Queer-Community als auch während meines Engagements in meiner Hauptbeschäftigung. Es ist eine belastende Herausforderung, die gesellschaftlichen Mechanismen von Rassismus, Queer-Feindlichkeit und Sexismus aufzudecken und zu denunzieren. Aber als schwarzer Queer-Mann mit intersektionalen Ansichten kann ich nicht anders.
Lieber Bakry, vielen Dank für YourStory!
Bundesminister Hubertus Heil ist Schirmherr

„Entschlossen stellen sich die Demokratien in Europa und der Welt gegen den furchtbaren Angriffskrieg von Putin auf die Ukraine. Dieser Krieg ist auch ein Angriff auf unsere Vorstellungen einer freien, vielfältigen Gesellschaft. Darin haben Hass, Ausgrenzung und Diskriminierung keinen Platz, weder offen noch versteckt. Es ist wichtig, dass wir immer wieder Zeichen für Vielfalt und Akzeptanz setzen − ob auf internationaler Ebene, in unserer Gesellschaft oder am Arbeitsplatz. Noch immer können nicht alle Menschen unbeschwert mit ihren Kolleginnen und Kollegen darüber sprechen, mit wem sie ihr Wochenende verbracht haben oder in den Urlaub fahren. Ich möchte eine Arbeitswelt, in der sich Menschen, die lesbisch, schwul, bisexuell, trans- oder intergeschlechtlich sind, nicht verstecken müssen. Sondern einfach sie selbst sein können. Ohne sich selbst zensieren zu müssen und ohne Spießroutenlauf in der Kaffeepause. Als Schirmherr des Pride Day Germany möchte ich diese Botschaft an alle Beschäftigten und Arbeitgeber und in unsere Gesellschaft schicken. Respekt gebührt jedem von uns an jedem Ort und zu jeder Zeit.“
Hubertus Heil
Bundesminister für Arbeit und Soziales
Schirmherr des PRIDE DAY GERMANY 2022
Die Schirmherrschaft
Nachdem Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, vergangenes Jahr den PRIDE DAY GERMANY mit einer Videobotschaft unterstützte, freuen wir uns sehr, dass er in diesem Jahr die Schirmherrschaft für den unternehmensübergreifenden Aktionstag übernimmt!
Mit seinem starken Statement setzt Bundesminister Heil ein Zeichen gegen Diskriminierung und für mehr Chancengleichheit von LGBT*IQ-Personen am Arbeitsplatz und in unserer Gesellschaft.
PRIDE DAY GERMANY 2022
Am 07. Juli laden wir Unternehmen und Organisationen zum zweiten PRIDE DAY GERMANY ein, um mit kleinen oder großen Aktionen zu zeigen: WE MEAN PRIDE & LGBT*IQ-Vielfalt am Arbeitsplatz ist Teil unserer DNS. Gemeinsam mit Unternehmen und ihren Mitarbeiter_innen zeigen wir der Welt, wie bunt Business sein kann. Und wie alle von dieser Offenheit profitieren: Menschen und Unternehmen, Gesellschaft und Wirtschaft.
RÜCKBLick PRide day Germany 2021
Am ersten PRIDE DAY GERMANY der Geschichte haben sich über 50 Unternehmen und Organisationen beteiligt und gezeigt, dass eine Regenbogenfahne und ein einmaliges Social-Media-Posting nicht ausreichen um nachhaltiges LGBT*IQ-Engagement zu verwirklichen – mit Erfolg. Die Botschaft des PRIDE DAY GERMANY erreichte auch den Bundesminister, unseren diesjährigen Schirmherrn, der bereits 2021 mit einem starken Videostatement zum PRIDE DAY GERMANY an die Öffentlichkeit ging.
Außerdem:
Die über 50 Unternehmen und Organisationen, die ihre Aktionen auf der Website des PRIDE DAY GERMANY für den PRIDE DAY CONTEST angemeldet hatten, haben an einem Publikumsvoting teilgenommen.
Die drei Publikumslieblinge wurden, wie auch beim aktuellen PRIDE DAY GERMANY, auf der PROUT AT WORK-Konferenz vorgestellt und gebührend geehrt.

MYSTORY mit …
Albert
51 Jahre, München
„Ich gehe jeden Tag in die Arbeit und
kann sagen „I am what I am“! …
Veröffentlicht: Mai 2022
Die Wanderung.
Ich erinnere mich noch gut an meine Schulzeit. Ich wuchs in einem sehr katholischen Umfeld auf. Katholische Klosterschule. Frühe 80er Jahre. In der 7. und 8. Klasse, die Pubertät in vollem Gange. Gleichzeitig war HIV/Aids ganz groß in den Schlagzeilen. Alles, was man damals wusste, war, dass man daran stirbt. Und so wurde ich geprägt – es gab ein Richtig und ein Falsch. Schwul = AIDS = falsch.
Erst viel später hat sich bei mir herauskristallisiert, dass ich schwul bin. Mein Coming Out hatte ich erst während meines Studiums. Nach dem Vorstudium ging ich für einen Masterstudiengang nach Wales. Welch gute Gelegenheit, auch meine sexuelle Orientierung zu entdecken. In diesem Findungsprozess musste ich gleich erleben, wie ein junger Schwuler durch den Ort gehetzt wurde. Schon wieder wurde in mir eingebrannt: schwul = falsch.
Aber, ich habe mich getraut. In London dann, nach meinem Studium, erlebte ich eine weltoffene Stadt, mit schwulen Bars, die Schaufensterscheiben hatten. Jeder konnte reinsehen. Was für ein befreiendes Gefühl. Zurück in meiner Heimatstadt Augsburg erlebte ich dann eine komplett andere Szene: Ich musste klingeln, um eingelassen zu werden. Die Fenster waren verklebt, damit uns keiner sieht.
Aber ich ließ mich jetzt nicht mehr unterkriegen, denn ich kannte ja London. Nahm am allerersten CSD in Augsburg teil und fühlte mich neben 20 anderen Personen superstolz.
Mein Berufsleben begann mit den üblichen „cost of thinking twice“. Damals war mir das noch nicht bewusst, denn meine gelernte Formel war ja „schwul = falsch“, also warum davon in der Arbeit erzählen. Ich war halt mit einem Freund oder mit Freunden unterwegs, mehr privates gab es von mir nicht. Bis mir ein Freund auf einer Wanderung mit dem Gay Outdoor Club erzählte, dass er bei BCG komplett out ist, dass sie ein Netzwerk haben und Dinge bewegen. Und natürlich kannte er einen Schwulen bei IBM, meinem damaligen Arbeitgeber. Er schrieb ihm direkt, dass da ein Kollege bei IBM ist, der ein Netzwerk unterstützen würde. Es dauerte keine 48 Stunden, bis seine Mail von dem Schwulen in Miami an einen Schwulen in London weitergeleitet wurde und der, Ken war sein Name, mich anrief.
Bis heute kennt Ken nur Regenbogenbunt, zurückstecken für die Community gibt es für ihn nicht. Seine erste Frage war: „Are you out? If yes, I can make you attend the next LGBT leadership conference at IBM New York next week.” Natürlich war ich nicht geoutet, und somit der Trip nach New York passé. Aber innerhalb der nächsten Woche outete ich mich gegenüber meinem Chef und meine Reise zum Thema LGBT*IQ am Arbeitsplatz begann. Ich gründete das LGBT*IQ-Netzwerk bei der IBM Deutschland, engagierte mich zu dem Thema auf europäischer Ebene innerhalb der Firma und bekam die erste Stelle in Europe im Vertrieb der IBM als sogenannter „GLBT Business Development Executive“.
Ich habe mir in all der Zeit hin und wieder richtig dumme Sprüche anhören müssen, manche davon machten mich sprachlos, aber echte Diskriminierungen habe ich nie erlebt. Die Unterstützung, die ich von den Out Executives bei IBM erlebt habe, haben in mir ein Selbstbewusstsein aufgebaut, sodass ich das Thema heute angstfrei vertrete. Über die verschiedenen Rollen, die ich bis heute innehatte, durfte ich Out-Persönlichkeiten, aber auch Allies kennenlernen, die mich inspiriert haben und nach wie vor antreiben, mit meinem Engagement weiterzumachen. PROUT AT WORK ist die Plattform dafür geworden, Jean-Luc wurde mein Partner in crime. Gemeinsam sind so tolle Ideen entstanden, haben wir uns gegenseitig ermutigt, dass PROUT AT WORK heute das ist, was es ist. Und ich jeden Tag motiviert in die Arbeit gehe und sagen kann „I am what I am“. Danke an alle, die mich zu dem werden haben lassen, der ich bin.
Lieber Albert, vielen Dank für YourStory!

MYSTORY mit …
Leon
43 Jahre, Hannover
„Manchmal braucht es Zeit
und Vorbilder, die
Veränderungen herbeiführen. …“
Veröffentlicht: Mai 2022
EIn Leben, Zwei Outings plus Migrationsgeschichte – Eine Schublade ist genug!
Seit meiner Geburt und in den ersten Momenten der Wahrnehmungen meiner selbst wusste ich, dass ich nicht in dieses vorhandene Körperkostüm und in die „klassische“ Rollenverteilung passte. Die zugewiesenen Farben (Rot und Pink) und die Vorstellungen der Gesellschaft waren mit meinem Ich nicht kompatibel. Ich wurde dennoch – ohne dass man mir zuhörte oder mich in meinem Dasein erkannte – in das weibliche System gedrückt. Sei es durch die Erziehung oder die gesellschaftlichen Vorgaben in Kindergarten, Schule, Ausbildung und Arbeitswelt. Damals waren Transidentität und Intergeschlechtlichkeit noch nie so sichtbar wie heute.
Es gab keine Wissensvermittlung, Anlauf- und Beratungsstellen – einfach nichts, obwohl trans* und inter* Menschen existieren, seitdem es Lebewesen auf dem Planeten Erde gibt.
So wehrte ich mich von Kindesbeinen an gegen dieses weibliche Kostüm und flüchtete viele Jahre in die lesbische Schublade, in der ich für meine damaligen Begriffe annährend ich sein, männliche Kleidung tragen durfte und mich so verhalten konnte wie ich wollte, eben für mich nicht weiblich. Ich nahm dieses „Versteck“ in Kauf und outete mich wie selbstverständlich bei allen Menschen in meinem Umfeld als lesbisch. Die Reaktionen, vielen Fragen, Vorurteile und Diskriminierungen waren mir aufgrund meiner schottisch-türkischen Migrationsgeschichte von klein auf sehr geläufig – ich war quasi schon „trainiert“ darin, diese Diskriminierung auf allen Wegen auszuhalten zu müssen. Was blieb mir auch anderes übrig?
Meine Mutter war nicht überrascht und meinte, ich sei ja sowieso immer wie ein Junge gewesen. Mit dem Unterschied, dass ich schon immer einer war und bin. Sie wusste es nicht besser, woher denn auch? Der Rest der deutsch-schottisch-türkischen Verwandtschaft reagierte unterschiedlich. Von „das wussten wir schon immer“ bis „dieser Mensch kommt nicht mehr in mein Haus“ war alles dabei.
Es war ein enormer Kraftakt für mich, all die Jahre in mir selbst gefangen zu sein. Jedes Mal, wenn ich den Mut hatte, wirklich „herauszukommen“, passierte etwas, das mich zurückwarf: aus Angst vor den Reaktionen meiner Familie, Freund_innen, Kolleg_innen, Angst vor dem Verlust meines Traumberufes, Angst vor der Trennung meiner damaligen Frau. Und irgendwann lernst du, diese Rolle zu spielen, versuchst dir einzureden, es wird schon auch so irgendwie lebenswert sein.
Doch das ICH-sein-dürfen, frei sein können und der Wunsch, dieses Körperkostüm verschwinden zu lassen, wurde im Laufe der Jahre immer stärker und stärker. Sich vor dem Spiegel anzuschauen und – damals als Kind wie im Erwachsensein – den Wunsch zu verspüren, diesen Ballast einfach abzuwerfen und endlich glücklich und frei sein zu können … dieser Traum, dieses Gefühl war kräftezerrend und unerreichbar, denn ich konnte nicht aus mir heraus. Die Angst war viele Jahre zu groß.
Immer, wenn Beiträge über trans* Menschen erschienen oder ich sie auf dem CSD sah, kam dieses Gefühl und der Wunsch nach Freiheit hoch. Innerlich war ich zerrissen, aber ich versuchte, zu funktionieren, immer wieder aufzustehen und mir einzureden „du schaffst das schon“.
Als ich mich 2018 bei meiner Frau outete und über den großen Wunsch sprach, mich aus den Ketten des Leidens lösen zu wollen, weil ich so nicht mehr kann und will und mich genauso fühle wie Balian B., löste ich großes Entsetzen aus und musste die klassischen Reaktionen über mich ergehen lassen:
„Du willst doch kein Mann sein. Ich liebe dich so, wie du bist. Ich liebe deine weibliche Oberweite. Klar bist du sehr männlich, aber ich mag auch die weibliche Seite. Ich möchte keinen Mann mit Bart und vielen Haaren. Du bist doch gut so wie du bist, warum meinst du, nun ein Mann sein zu wollen? Wenn du das tatsächlich machen wirst, dann lasse ich mich scheiden …“
Das war nur ein Bruchteil der Sätze, die mir durchs Mark rauschten und jedes Mal höllische Schmerzen verursachten. Ich liebte diesen Menschen über alles, und ich versuchte, auch ihre Seite zu verstehen, aber wollte sie mich denn verstehen? Nach dem Gespräch mit meiner Frau entschied ich mich zunächst für uns und unsere Ehe und versuchte, die Sehnsucht wieder zu vergraben. Nur merkte ich, dass es mir nicht mehr so gut gelang, da die Sehnsucht und der Leidensdruck sehr schwer auszuhalten waren. Zweieinhalb weitere lange Jahre und immer wiederkehrende Gespräche mit meiner Frau später: „Wenn du das tust, lasse ich mich scheiden.“
Dann lernte ich tolle Menschen kennen, die genauso waren wie ich, mit identischen Lebensgeschichten. Diese beiden Menschen gaben mir die Kraft für meinen nächsten Schritt: 2020 kam Corona und aufgrund der vielen Streitigkeiten mit meiner Frau zog ich vorübergehend mit meinem damaligen Hund, einer französischen Bulldogge, aufs Land.
Dort hatte ich viel Zeit zum Nachdenken – das erste Mal, dass ich mir viel Zeit für mich nahm und nicht immer nur für andere Menschen parat- oder zurückstand. Endlich war ich dran!
Einfach ALLES aus den vergangenen Jahren kam nach oben geschossen wie eine Tornadowelle. In den 4 Wochen veränderte sich mein Leben im Sekundentakt. Meine Frau verwirklichte ihre Androhung und ich stand alleine da. Und durch einen örtlichen Berufswechsel stand ich auch dort vor einem Neuanfang.
Ich nahm nach 41 Jahren all meinen Mut zusammen und outete mich ein zweites Mal. Wenn nicht jetzt, wann dann? Zunächst bei meinem inneren Freundeskreis, dann bei meinen Kolleg_innen und zu guter Letzt bei meinen Vorgesetzen. Die Resonanz war überwiegend sehr positiv!
Seit 2 Jahren fühle ich mich endlich frei und ich bin froh, diesen wichtigen Schritt gegangen zu sein, auch wenn er aus vielen unterschiedlichen Gründen viele Jahre gedauert hat. Manchmal braucht es Zeit und Vorbilder, die Veränderungen herbeiführen. Heute darf ich ein Vorbild sein und möchte vielen Menschen Mut machen. Hab keine Angst, denn Du bist nicht alleine! Es ist wichtig, geschlechtliche Vielfalt und die unterschiedlichen Facetten sichtbar zu machen und das Wissen darum in alle Bereiche zu bringen. Rückblickend frage ich mich manchmal, woher ich die Kraft entwickelt hatte, immer wieder aufzustehen und weiterzugehen. Es waren die vielen tollen Menschen um mich herum, die mir Kraft und Mut gegeben haben. Natürlich auch meine Lust und Freude am Leben und die Tatsache, anderen Menschen Mut und Kraft geben zu können.
Die Erlebnisse haben mich zu dem Menschen geformt, der ich heute bin, mit all meinen Facetten:
Mein Name ist Leon Dietrich, mein Geburtsort ist die Erde, meine Nationalität ist Mensch, meine Politik ist die Freiheit, meine Religion ist die Liebe und ich liebe Menschen und unsere Demokratie!
Lieber Leon, vielen Dank für YourStory!

MYSTORY mit …
Oxana
34 Jahre, Hamburg
„War man einmal drin, öffnete sich diese
Parallelwelt, in der alle sich kannten und
man so sein durfte, wie man wollte. …“
Veröffentlicht: May2022
Parallelwelten.
Ich komme aus Russland – dem Land, das heute mit Krieg, Gewalt, Propaganda und Homophobie in Verbindung gesetzt wird. Und es ist kaum zu glauben, dass ich in meiner Jugend, also in den 2000er Jahren, die wahrscheinlich liberalste und freieste Zeit dieses Landes erlebt habe. Das war die Zeit, in der das Pop-Duo „t.A.T.u.“ auch in Europa und in den USA bekannt wurde. Damals störte es in Russland keine_n, dass sich zwei Mädchen auf der Bühne küssten. Viele Mädchen gingen dann auch auf den Straßen in kurzen Röcken Hand in Hand, wie im Video All The Things She Said. Es gab auch andere russische Künstler_innen, die in ihren Lieder und Videos homosexuelle Andeutungen machten. Damit bin ich groß geworden.
Als ich noch Schülerin war, wusste ich zwar, dass es Homosexualität gibt, habe mich aber nicht damit identifiziert. Ich hatte immer enge Beziehungen mit meinen Freundinnen, auch Händchen gehalten und in einem Bett geschlafen. Das war alles harmlos und fühlte sich normal an. Ich wusste auch, dass es in einer Parallelklasse einige Mädels gab, die angeblich auf Frauen standen. Darüber wurde nur geflüstert (später habe ich sie dann auf den Lesbenpartys gesehen). Als ich in einem Feriencamp ein Mädchen kennenlernte und jedes Mal eifersüchtig war, als sie von Jungs erzählte, konnte ich meine Gefühle nicht zuordnen.
Die Tatsache, dass ich auf Frauen stehe, wurde mir erst mit 17 klar, nachdem eine junge Frau in einem heterosexuellen Club auf mich zukam und mich kennenlernen wollte. Mit ihr war ich danach etwa ein Jahr zusammen und wir haben immer noch Kontakt (heute lebt sie mit Frau und Kind in San Francisco). Sie führte mich in die lesbische Community ein.
Die LGBT*IQ-Community in meiner Heimatstadt (ca. 2 Millionen Einwohner) war damals ziemlich groß, es gab einen Club für Lesben und einen für Schwule mit wöchentlichen Partys. In Moskau und Sankt Petersburg gab es natürlich noch mehr: mehr Clubs, mehr Partys, mehr Menschen wie wir, aber wir waren glücklich mit dem, was wir hatten. Natürlich war das alles nicht öffentlich und man musste sich auskennen, aber war man einmal drin, öffnete sich diese Parallelwelt, in der alle sich kannten und man so sein durfte, wie man wollte.
Dort habe ich meine Seelenmenschen gefunden, meine besten Freundinnen. Ich habe diese Parallelwelt geliebt, obwohl sie auch nicht perfekt war.
Ich war Studentin, hatte wenig Geld, wohnte bei meinen Eltern, die mich zwar liberal erzogen haben, aber von meiner sexueller Orientierung damals noch nichts wussten. Während ich mich in der Community so wohlfühlte, wurde die Außenwelt immer weniger tolerant – was ich aber erst später merkte.
Ende 2008 kam ich zum Studieren nach Deutschland, ohne zu wissen, wie lange ich bleiben würde … 14 Jahre später bin ich immer noch hier, glücklich mit meiner Frau verheiratet und mit einem tollen Job führe ich das Leben, das ich mir immer gewünscht habe. Ich fühle mich in Deutschland frei und sicher. Ich bin dankbar für alle Erfahrungen, die ich gemacht und alle Menschen, die ich getroffen habe. Ich bin dankbar für die Zeit, die ich in Russland erlebt habe und weiß, dass es dort heutzutage unvorstellbar und manchmal sogar gefährlich ist, Hand in Hand zu gehen. Trotzdem wünsche ich allen LGBT*IQ-Menschen, dass sie früh den Weg zu sich finden und nur die positiven Begegnungen haben. Denjenigen, die sich noch nicht trauen, kann ich nur sagen: „Habt keine Angst, ihr seid normal und nicht alleine!“