Im Gespräch mit… Joschua Thuir

Berufliche Trans*parenz? Etikettenschwindel nach Vorschrift

Privat heterosexueller Mann, im Dienst homosexuelle Frau – verwirrt? Willkommen im Werdegang von Joschua, der sich selbst über fünf Jahre seiner Polizeilaufbahn zu einem Doppelleben gezwungen sah. Eine Geschichte über berufliche Transparenz, Mut und gesellschaftlichen wie gesetzlichen Nachholbedarf.

Joschua Thuir arbeitet als Polizeivollzugsbeamter bei der Bundespolizei am Flughafen Frankfurt, meist in der Ein- oder Ausreisekontrolle. Zu seinen Aufgaben gehört auch die Bestreifung im öffentlich zugänglichen Bereich der Terminals. In seiner Freizeit engagiert Joschua sich unter anderem bei der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti), beim Verband lesbischer und schwuler Polizeibediensteter Deutschland e.V. (VelsPol), sowie bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Über diese Netzwerke unterstützt er Opfer von Homo- und Transphobie, teilt Erfahrungswerte und schult rechtliche Sicherheit im Umgang mit trans*/inter* Personen.

Aus welchem Grund engagierst Du Dich so stark für LGBT*IQ?

 

Joschua Thuir: Es gibt mehrere Gründe. Einer davon ist meine persönliche Geschichte. Als ich 19 Jahre alt war und mich noch in der Ausbildung befand, stellte ich fest, dass ich mich nicht länger mit der mir bei der Geburt zugeordneten weiblichen Geschlechterrolle identifizieren konnte. Auf der Arbeit habe ich mich jedoch erst mit 25 Jahren als Transmann¹ geoutet, da ich befürchten musste, meinen Beruf zu verlieren, wenn ich meine wahre Identität bereits vor der Verbeamtung auf Lebzeiten preisgebe.

¹Transmann ist die selbstgewählte Bezeichnung des Interviewpartners. PROUT AT WORK verwendet den Begriff trans* adjektivisch um der Fülle nicht-binärer Personenkonzepte in Bezug auf geschlechtliche/sexuelle Identität Rechnung zu tragen.

Transidentität als Hindernis für die Verbeamtung?

 

Joschua Thuir: Indirekt ja. Bei der Polizei gibt es gesundheitliche Voraussetzungen, festgehalten in der Polizeidienstvorschrift 300 (PDV300). Diese werden vor der Einstellung, sowie zur Beendigung der Probezeit überprüft. Die PDV300 unterscheidet zwischen Männern und Frauen. Bei meiner ursprünglichen Einstellung als Frau erfüllte ich die weiblichen Kriterien, später jedoch nicht die männlichen. Zum Beispiel benötigen Männer mindestens einen funktionierenden Hoden – für einen Transmann nach derzeitigem medizinischen Stand nicht möglich.

Ein Coming-Out in der Ausbildungs- sowie Probezeit kam für mich demnach nicht in Frage. Die Ausschlusskriterien veranlassten mich ein Doppelleben zu führen, um meinen Beruf weiter ausüben zu dürfen: Über fünf Jahre lang lebte ich privat als heterosexueller Mann, ging aber als homosexuelle Frau zum Dienst.

„Die Angst, dass rauskommt, dass ich alle anlüge war allgegenwärtig.“

Hatte dieses Versteckspiel Auswirkungen auf Deinen Job?

 

Joschua Thuir: Definitiv. Die Angst, dass rauskommt, dass ich alle anlüge war allgegenwärtig. Die weibliche Legendierung verlangte dazu unglaublich viel Organisation, Konzentration und Schlagfertigkeit von mir. Ich musste z.B. auf weibliche Pronomen reagieren, obwohl ich mich nicht angesprochen fühlte. Darüber hinaus gibt es bei der Polizei geschlechterbezogene Maßnahmen. Zwei ganz konkrete Beispiele: Durch entsprechende Formvorschriften, die ausschließlich gleichgeschlechtliche Durchsuchungen erlauben (insofern keine lebensbedrohliche Situation besteht) wurde ich regelmäßig zu Durchsuchungen von Frauen herangezogen. Weiterhin führte ich häufiger unverschleierte Lichtbildabgleiche von verschleierten Frauen bei der Passkontrolle durch. Dies führte gelegentlich zu Missverständnissen aufgrund meines doch eher männlichen Aussehens.

Wo liegen Deines Erachtens weitere Berührungspunkte von geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung mit Deinem Beruf?

 

Joschua Thuir: Als Polizist arbeite ich mit dem Gesetz. Unser Grundgesetz kennt bisher jedoch nur zwei Geschlechter. Es heißt dort: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Die Formulare der Polizei sind daher binärgeschlechtlich, eine Dritte Option zur Geschlechtsangabe ist bislang nicht vorhanden. Allerdings soll sich dies zum Ende des Jahres ändern und ein drittes Geschlecht im Gesetz implementiert werden.

Immer öfter sind Transidente und intergeschlechtliche Personen in Besitz eines Ergänzungsausweises. Dieser Ausweis kann in Kontrollsituationen ergänzend ausgehändigt werden und klärt über die Rechtslage und die Identität der Person auf. Quasi ein Hilfsmittel für die Polizei. Allerdings ist dieser Ausweis noch recht unbekannt.

Im Bereich des Asylgesetzes gibt es auch Schnittstellen. Die Verfolgung homosexueller sowie transidenter Personen ist mittlerweile als Fluchtgrund anerkannt. Im Rahmen des Asylverfahrens müssen diese Personen zum einen die Verfolgung, zum anderen aber auch ihre Orientierung bzw. geschlechtliche Identität dem Bundesamt für Migration- Flüchtlinge als bearbeitende sowie entscheidende Stelle nachweisen. In meinem beruflichen Alltag kam es vor, dass Personen aus diesen Gründen ein Asylbegehren mir gegenüber geäußert haben.

Welche beruflichen Erfahrungen hast Du denn nach Deinem lesbischen Coming-Out gemacht?

 

Joschua Thuir: Ich hatte ja mehrere Coming-outs. In der Ausbildung habe ich mich als vermeintlich lesbisch geoutet – mit einigen negativen Reaktionen der anderen Anwärter_innen. Es kam zu einigen verbalen Angriffen wie zum Beispiel „Mannsweib“ oder zu nonverbalen Schikanen, wie das Amüsieren über mein äußerliches Erscheinungsbild in der Gruppendusche. Von meinen damaligen Vorgesetzten fühlte ich mich mit den täglichen Problemen ebenfalls alleingelassen. Als für mich klar war, dass ich mich als Mann identifiziere, habe ich mich in der Ausbildung niemanden mehr anvertraut. Daran erinnere ich mich nicht gerne zurück. Leider hatte ich damals nicht den Mut und die Kraft, mich an die nächsthöhere Instanz zu wenden und mir fehlten Informationen z.B. zu VelsPol um auf anderem Wege um Hilfe zu bitten.

„Kollegen aus dem Fortbildungsbereich waren nach meinem Outing sehr daran interessiert meine Expertise zu nutzen.“

Und wie waren Deine Erfahrungen, als Du Dich als Transmann geoutet hast?

 

Joschua Thuir: Als ich mich dann nach den erwähnten fünf Jahren als Transmann bei der Bundespolizei outete, erfuhr ich deutlich positivere Reaktionen, aber auch hier kristallisierten sich einige Wenige mit fehlenden sozialen Kompetenzen heraus

Der nächste Schritt müsste von weiter oben kommen, bisher habe ich darauf leider vergeblich hingewiesen. So muss ich damit leben, dass es Kollegen gibt, die mich ignorieren, selbst wenn man gemeinsam Streife läuft und sich eigentlich blind aufeinander verlassen muss. Ich musste lernen damit umzugehen.

Kollegen aus dem Fortbildungsbereich waren nach meinem Outing sehr daran interessiert meine Expertise zu nutzen. Gemeinsam mit einem weiteren transidenten Kollegen sollte ich einen Vortrag für die Luftsicherheitsschulung erstellen. Hierzu wurde ich sogar für 2 Tage nach Berlin entsendet.

Wie sind Deine Vorgesetzten mit Deinem Outing umgegangen?

 

Joschua Thuir: Meine damaligen Vorgesetzten recht unterschiedlich, im großen Ganzen positiv bis unbeholfen. Ich habe eine Polizeitrainerin gebeten, mich gegenüber meinen direkten Vorgesetzten zu outen und sie zu bitten das in der Hierarchie weiterzugeben. Dies, um allen die Möglichkeit zu gegeben, ins Transsexuellengesetz zu schauen und um sich vor einem Gespräch mit mir mit dem Thema vertraut zu machen. Leider gab es trotzdem Verwirrungen auf allen Seiten, die sich leider nicht immer in Klarheit oder gar Wohlgefallen auflösen konnten.

In solchen Fällen kommt es, wie so oft, auf jede_n Einzelne_n an. Engagierte Vorgesetzte nehmen Diskriminierungen den Wind aus den Segeln. Andere wiederum sind weniger (pro)aktiv oder gar konfliktscheu.

„Zuletzt wünsche ich mir, dass man sich als LGBT*IQ Person weder in der Ausbildung, noch an der späteren Dienststelle alleingelassen fühlt und niemand mehr Angst vor einem Coming-Out in der Behörde haben muss.“

Was wünschst Du Dir zukünftig für die Sichtbarkeit von LGBT*IQ an Deinem Arbeitsplatz?

 

Joschua Thuir: Ich wünsche mir, dass LGBT*IQ-Sachverhalte in der Aus- und Fortbildung implementiert werden, da Fehlverhalten meist aus Unwissenheit und Unsicherheit resultiert. Polizeibedienstete sollten auf Ausnahmeregelungen zumindest aufmerksam gemacht werden, um ihre Aufgaben auch den etwa 10 % der Bevölkerung gegenüber, die nicht heterosexuell oder cisgeschlechtlich² sind, selbstbewusst und rechtssicher erfüllen zu können.

Darüber hinaus wünsche ich mir, dass die Bundespolizei dem Leitbild entsprechend Stellung zu LGBT*IQ Mitarbeiter_innen bezieht, zu dem Themenbereich mehr Aufklärung leistet und die PDV 300 durch das Bundesministerium des Innern derartig überarbeiten lässt, damit Trans- und intergeschlechtliche Personen nicht ohne Weiteres als polizeidienstuntauglich eingestuft werden können. Zuletzt wünsche ich mir, dass man sich als LGBT*IQ Person weder in der Ausbildung, noch an der späteren Dienststelle alleingelassen fühlt und niemand mehr Angst vor einem Coming-Out in der Behörde haben muss. Hierzu müsste die Bundespolizei die Anzahl der beauftragten Ansprechpersonen erhöhen und den Adressatenkreis von LS auf LSBTIQ erweitern, so wie es bei einigen Landespolizeien bereits der Fall ist. Diese Beauftragung soll nicht nur ein Nebenamt ohne Verpflichtungen bedeuten, sondern auch aktiv für Sensibilisierungs- bzw. Antidiskriminierungsarbeit innerhalb und außerhalb der Behörde genutzt werden. Erste Schritte in die richtige Richtung sind bereits erfolgt – ich würde mich freuen diesen Weg gemeinsam mit der Unterstützung der Behörde fortzusetzen.

²Der Begriff bezeichnet Menschen, deren Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.

Im Gespräch mit… Jens Schadendorf

„Auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut.“

Jens Schadendorf ist Ökonom, Global Book Consultant und daneben Autor sowie freier Diversity-Forscher am Lehrstuhl für Wirtschaftsethik der TU München.

Zuvor war er als Buchverleger lange Programmleiter, u.a. bei SpringerGabler, Econ und Herder, und verantwortete viele Bestseller, u.a. von Jack Welch, Dalai Lama, Elie Wiesel, Bill Clinton, Michael Porter, Don Tapscott sowie Hans-Werner Sinn, dessen Lektor er bis heute ist.

Zahlreiche Auszeichnungen und Veröffentlichungen, darunter “Der Regenbogen-Faktor. Schwule und Lesben in Wirtschaft und Gesellschaft”, Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Hamburg und Fribourg sowie – mit einem Stipendium des Schweizer Nationalfonds – in Singapur und Bangkok.

Herr Schadendorf, mit Ihrem Buch „Der Regenbogen-Faktor“ haben Sie vor ein paar Jahren viel Resonanz in Medien, Unternehmen und Unis erfahren. Es schien, als sei der Business Case vielen noch nicht bewusst gewesen. Sie schreiben jetzt wieder an einem Buch zu LGBTI*IQ im Arbeitskontext. Hat sich aus Ihrer Sicht etwas verändert?

 

Jens Schadendorf: Ja. Wobei ich hier zunächst sagen will: „Der Regenbogen-Faktor“ bezieht sich auf Deutschland, und dort zu etwa zwei Dritteln auf die Wirtschaft. Mein neues Werk, das nächstes Jahr auf deutsch und englisch erscheinen wird und für das ich gerade bis nach Ostasien, Südafrika, Nordamerika, Moskau, Rom, Paris oder Amsterdam unterwegs bin, hat den ausschließlichen Fokus „Global Business“. Für den deutschsprachigen Raum gilt in der Tat:  Die Sensibilität für den Business Case LGBT*IQ ist gewachsen. Allerdings ist zugleich zu differenzieren: Die Unternehmen etwa sind deutlich weiter als vor vier, fünf Jahren, aber doch auf sehr unterschiedlichen Niveaus unterwegs. Nur weil man zum Beispiel im Juni für ein, zwei Wochen eine Regenbogen-Flagge über dem Firmensitz hisst oder es den MitarbeiterInnen ermöglicht, bei einem CSD-Umzug im Firmen-T-Shirt mit Rainbow-Logo mitzulaufen, hat man nicht zwingend verstanden, welchen Chancen im Business Case LGBT*IQ liegen.  Dennoch ist beides auch ein guter Anfang, um Sichtbarkeit, Bewusstsein und Wertschätzung für LGBT*IQ und den Business Case dazu zu verbessern oder gar erst anzustoßen. Global operierende „Corporates“ sind in diesem Prozess in Deutschland viel dynamischer unterwegs als noch vor einem halben Jahrzehnt, auch wenn es bei ihnen nach wie vor Defizite gibt. Aber, wie heißt es so schön: Auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut.

Wichtig für den nächsten Entwicklungssprung wäre u.a., mehr aktive geoutete „Role Models“ auch an der Spitze zu haben. Ich weiß, wie sich das anfühlt – ich war selbst viele Jahre erst in der dritten, dann in der zweiten und schließlich in der ersten Führungsebene unterhalb der Geschäftsleitung angesiedelt. Geoutet. Deutsche LGBT*IQ Top-Dogs sind in dieser Hinsicht leider insgesamt, gemessen an ihren englischsprachigen Kollegen jedenfalls, eher zurückhaltend. Bei allem Verständnis für legitime Karriereziele und unterschiedliche persönliche Wege zum Glück: Mich ärgert das. Wem – als Top LGBT*IQ – viele Talente und Chancen gegeben sind, der muss über Macht, Status und Geld hinauswirken lernen. Oder er bzw. sie steht für das gleiche „Eliten-Versagen“, das heute – nicht selten zu Unrecht – beklagt wird. Was ist das für ein Leben, in dem man für alles den Preis, aber nicht den Wert kennt?  Klingt das zu „moralisch“ oder zu „schwer“? Unsinn. Feiern lassen sich Arbeit und Leben trotzdem.

„Was ist das für ein Leben, in dem man für alles den Preis, aber nicht den Wert kennt? Klingt das zu „moralisch“ oder zu „schwer“? Unsinn. Feiern lassen sich Arbeit und Leben trotzdem.“

PROUT AT WORK wird im Wesentlichen von Unternehmen unterstützt. Sie haben unsere Stiftung 2017 sowohl durch eine Spende als auch durch eine Zustiftung gefördert – vielen Dank dafür! Wieso war Ihnen das ein Anliegen? Warum ist es Ihrer Ansicht nach wichtig, dass auch Privatpersonen die Ziele von PROUT AT WORK finanziell unterstützen?

 

Jens Schadendorf: Als bodenständiger Hamburger und als im Ausland zur Rationalität „erzogener“ Wirtschaftswissenschaftler neige ich nicht zur Übertreibung. Allerdings lasse ich mich auch gerne begeistern. Und ich finde die Idee, für die die PROUT AT WORK Foundation steht, großartig. Sie sucht in Deutschland ihresgleichen. Auch ist mir bekannt, dass der Weg zur Stiftung kein einfacher war. Dass er gegen alle Widrigkeiten gegangen und die PROUT AT WORK Foundation 2013 gegründet werden konnte, weiß ich daher sehr zu schätzen. Wie ich überhaupt jegliches unternehmerisches Handeln, das bereit ist, Risiken einzugehen, um etwas „Sinnvolles“ zu befördern, unterstütze. Und dies umso mehr, wenn es sich – wie bei Stiftungen – auf die Verbesserung „gesellschaftlicher Zustände“ bezieht.  Genau das will ja PROUT AT WORK auch, nämlich: „dass die Arbeitswelt offen ist für alle Menschen, unabhängig von deren sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität, dem geschlechtlichen Ausdruck oder geschlechtlicher Eigenschaften/Merkmale.“ So jedenfalls steht es auf der Website und so ähnlich steht es in den Regularien der Stiftung.

Ich bin, wie gesagt, selbst schwul. Und ich war und bin in der Arbeitswelt ökonomisch und auch sonst recht erfolgreich, früher als angestellter Buchverleger und heute als selbstständiger Global Book Expert und Publizist. Es mag altmodisch klingen, aber das ist mir egal: Ich kann durch mein Wirken als Buchautor zu LGBT+-Business-Themen etwas zurückgeben an die Gesellschaft, die mir einiges ermöglicht hat. Und das gleiche will ich – auf ganz andere Weise – durch mein privates Stiftungsengagement bei PROUT AT WORK tun. Jeder muss selbst wissen, wie er sein Leben lebt und wie er für das einstehen will, was ihm wichtig ist. Aber vielleicht ermuntere ich durch mein Handeln ja auch andere, es mir nach zu tun.

„PROUT AT WORK bündelt aktuelle und relevante LGBT+IQ Informationen, bereitet sie auf, vernetzt, berät, ermöglicht wechselseitiges Lernen – als Stiftung und damit über alle Institutionen hinweg.“

Wie sehen Sie die Rolle von Organisationen wie PROUT AT WORK?

 

Jens Schadendorf: Sie ist sehr zentral. Das eine sind ja die Aktivitäten zum Thema LGBT*IQ von Unternehmen oder anderen Institutionen. Das andere aber ist das, was  PROUT AT WORK leistet: überorganisationelle Pressearbeit und Durchführung von Veranstaltungen zum Abbau von Homophobie und Diskriminierung im Arbeitsumfeld, die Beauftragung von Studien über Diskriminierung und Homophobie im  Joballtag, die Veröffentlichung von Ratgebern und Infomaterial zum Nutzen einer wertschätzenden diskriminierungsfreien Kultur im Job oder die Zusammenarbeit mit ausländischen Vereinigungen und Verbänden vergleichbarer Zielsetzung.

All dies kann kein einzelnes Unternehmen auf den Weg bringen. PROUT AT WORK bündelt aktuelle und relevante LGBT*IQ-Informationen, bereitet sie auf, vernetzt, berät, ermöglicht wechselseitiges Lernen – als Stiftung und damit über alle Institutionen hinweg. „For a higher good“ sozusagen. Und zugleich zum Nutzen von Unternehmen und Organisationen, von Führungskräften und Mitarbeitenden. Denn LGBT*IQ Diversity Management weist ja – wie Studien belegen – weit über den Diskriminierungsschutz für sogenannte sexuelle Minderheiten hinaus. Es fokussiert vielmehr vor allem auch auf die mit ihm zu befördernden ökonomischen Chancen und Potentiale – für alle Beteiligten. Dass das Bewusstsein für diese Zusammenhänge unterfüttert und gestärkt wird: Dafür stehen nicht zuletzt die Aktivitäten von PROUT AT WORK, vorangetrieben von ihren Initiatoren und Machern Albert Kehrer und Jean-Luc Vey.

Im Gespräch mit… Claudia Brind-Woody

The cost of thinking twice – Die Kosten vom Doppelt Denken

Claudia Brind-Woody ist IBM-Vice President and Managing Director Intellectual Property Licencing. Sie arbeitet seit 1996 für IBM, unter anderem in unterschiedlichen globalen Führungspositionen und ist weltweit eine anerkannte Rednerin. In ihren Vorträgen und Büchern (Out & Equal at Work: From Closet to Corner Office, 2013 sowie The Glass Closet: Why Coming Out is Good for Business, 2014) wirbt sie für einen offenen und wertschätzenden Umgang mit sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität am Arbeitsplatz. Außerdem steht sie beratend unterschiedlichen LGBT-Platt formen, Initiativen und Institutionen, darunter Workplace Pride, Stonewall Global Diversity Champions sowie Out & Equal Workplace Advocates, OUTstanding zur Verfügung. Lambda Legal und das John C. Stennis Institute of Government. Claudia Brind-Woody wurde mit dem Out & Equal Trailblazer Award ausgezeichnet, und zahlreiche internationale Magazine führen sie als weltweit herausragende Persönlichkeit auf dem LGBT-Sektor.

“If you want to create value for your business, then make sure that you both have and value diversity.”

Zusammenfassung


 

Claudia Brind-Woody, IBM-Vice President and Managing Director Intellectual Property, beschreibt IBM als Unternehmen, in dem jeder Mensch willkommen ist erfolgreich tätig zu sein. Maßgeblich für die Unternehmenskultur sei, dass sich Mitarbeiter_innen als eigenständige und wertvolle Persönlichkeiten wahrnehmen. Denn wenn diese sich respektiert und geachtet fühlten, seien sie nicht nur deutlich produktiver, sondern auch wesentlich positiver gegenüber ihrer Beschäftigung eingestellt, sagt Brind-Woody. Sie verweist auf die Statistiken zahlreicher Studien, die belegen, dass die Produktivität am Arbeitsplatz um 30 Prozent sinkt, sobald Mitarbeiter_innen wesentliche Teile ihrer Persönlichkeit verstecken und Angst haben müssen, am Arbeitsplatz geoutet zu sein.

 

Die Auseinandersetzung mit den Themengebieten Diversity und Inclusion hat bei IBM eine lange Historie, die sich bis in die 1920er-Jahre zurückverfolgen lässt, so Brind-Woody. Verschiedene Richtlinien und Verbesserungen innerhalb des Unternehmens sorgten seitdem für einen fairen und gleichgestellten Umgang mit allen Mitarbeiter_ innen. Das Unternehmen vereine so Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen mit unterschiedlichen Hintergründen und physischen Voraussetzungen – alt und jung, Schwarz und weiß, homo- und heterosexuell. Entscheidend für alle sei die Frage, ob diese Menschen wertgeschätzt werden. In diesem Anspruch begründet sich IBMs Ansatz zur Inclusion.

 

Claudia Brind-Woody weist darauf hin, dass es sehr schwer sei, Erfolge von LGBT*IQ-Richtlinien an konkreten Zahlen festzumachen. Wichtig sei allerdings die Tatsache, dass alle aktuellen Untersuchungen darauf hinweisen, dass Innovation durch Diversity entsteht, was ein wichtiger Punkt für IBM als Innovationsunternehmen darstelle. Die Arbeit und das Engagement von IBM sei deshalb so wichtig, weil es noch immer Regionen und Gesellschaften gibt, in denen es illegal ist, LGBT*IQ zu sein. IBM unterstützt seine Mitarbeiter_innen auch dort, damit diese sicher und möglichst unbefangen arbeiten können.

 

IBM vertritt bei seinem Engagement drei Grundwerte:

  1. Engagement für den Erfolg jedes Kunden.
  2. Innovationen, die etwas bedeuten – für unser Unternehmen und für die Welt.
  3. Vertrauen und persönliche Verantwortung in sämtlichen Beziehungen.

 

Das Engagement im Bereich D&I hat sich für IBM als ein attraktives Geschäftsmodel bewährt, weil es „die Kosten vom Doppelt Denken” („The cost of thinking twice“) deutlich senken kann. Als solche versteht Claudia Brind-Woody zusätzliche Kosten, die durch suboptimale Produktivität entstehen. IBM, argumentiert sie, wolle zusätzliche Personalkosten durch Mitarbeiter_innen vermeiden, die sich am Arbeitsplatz verstellen und ihre eigentliche Persönlichkeit aufwendig verleugnen müssen. Ebenso soll ein Arbeitsplatzklima, das personelle Vielfalt wertschätzt, das Unternehmen für junge Talente und Fachkräfte attraktiv machen. Sie nicht anzusprechen, würde eine vergebene Chance und damit weitere vermeidbare Kosten bedeuten. Insgesamt wolle IBM nicht dafür bezahlen, intolerant zu sein und über zu wenig Innovationskraft zu verfügen, um zu wachsen. Um erfolgreich Wertschöpfung für das eigene Business zu betreiben, schließt Brind-Woody, sei es daher wichtig, Diversity zu haben und diese wertzuschätzen.