Gesellschaftliches Engagement
Blutspenden schwuler, bisexueller Männer und trans* Personen zulassen
Update 04. September 2023
Die Bundesärztekammer und das Paul-Ehrlich Institut haben Ende vergangener Woche die Grundzüge der neuen Hämotherapie-Richtlinie vorgestellt. Auf Druck der Gesetzgebung, durch die Änderung des Transfusionsgesetzes, musste die Richtlinie bis spätestens Oktober 2023 angepasst werden. Heute werden die neuen Regelungen nun im Bundesärzteblatt veröffentlicht.
Die Risikobewertung soll künftig auf Grundlage des individuellen Sexualverhaltens erfolgen – ohne Berücksichtigung der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität. So sollen laut der neuen Richtlinie Menschen vom Blutspenden ausgeschlossen werden, die innerhalb der letzten vier Monate sexuelles Risikoverhalten gezeigt hat. Dazu gehört unter anderem Sex mit insgesamt mehr als zwei Personen und Sex mit einer neuen Person, wenn Analsex praktiziert wurde.
Der LSVD und die Deutsche Aidshilfe kritisieren die neuen Regelungen. Sie sorgen dafür, dass Analverkehr außerhalb dauerhafter Beziehungen ohne Grundlage als pauschal risikohaft eingeordnet wird. Auch Geschlechtsverkehr mit HIV-positiven Menschen schließt von einer Spende aus, obwohl hier im Regelfall bei wirksamer HIV-Therapie kein Übertragungsrisiko besteht. Außerdem kritisieren sie die Rückstellungsfrist von vier Monaten, obwohl HIV-Infektionen in Labortest nach sechs Wochen ausgeschlossen werden können. Weiterhin seien mit den neuen Regelungen also die meisten schwulen Männer vom Spenden ausgeschlossen, nur ohne explizit benannt zu werden. Wir schließen uns denen vom LSVD und der Deutschen Aidshilfe angeführten Kritikpunkten an und fordern Nachbesserungen.
UM WAS GEHT ES?
Bis heute werden schwule, bisexuelle Männer und trans* Personen faktisch nicht zur Blutspende zugelassen. Die Richtlinie Hämotherapie der Bundesärztekammer besagt in ihren Anforderungen, dass „Personen, deren Sexualverhalten ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten wie HBV, HCV oder HIV birgt“, für vier Monate kein Blut spenden dürfen.
Hierunter fallen „heterosexuelle Personen mit sexuellem Risikoverhalten, z.B. Geschlechtsverkehr mit häufig wechselnden Partnern, Personen, die Sexualverkehr gegen Geld oder andere Leistungen (z.B. Drogen) anbieten (männliche und weibliche Sexarbeiter), Männer, die Sexualverkehr mit Männern haben (MSM) und transsexuelle Personen mit sexuellem Risikoverhalten“.
Wird heterosexuellen Personen eingeräumt, die Blutspende nur bei häufigem Wechsel der Sexualpartner_innen für vier Monate aussetzen zu müssen, gilt die Rückstellfrist für schwule und bisexuelle Männer sowie trans* Personen (die rechtlich – noch – zu den Männer zählen und Sex mit Männern haben) schon bei Geschlechtsverkehr mit mehr als einer Person. Lediglich durch den Nachweis über eine monogame Beziehung kann diese Rückstellfrist umgangen werden.
WARUM IST UNS DAS EIN ANLIEGEN?
Als Stiftung für mehr LGBT*IQ-Chancengleichheit am Arbeitsplatz sind wir Denkfabrik und Ratgeber für eine Vielzahl an Unternehmen. Diese sehen sich in der Verantwortung, ihren Mitarbeiter_innen ein offenes, facettenreiches Arbeitsumfeld zu bieten, das ihre Individualität und Vielfalt als wertvoll anerkennt und fördert. Sie setzen sich bewusst gegen Vorurteile und Diskriminierung ein – unabhängig von Geschlecht, Nationalität, ethnischer, kultureller oder sozialer Herkunft, Religion und Weltanschauung, physischen oder psychischen Möglichkeiten, Alter, sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität.
Im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bieten dieselben Unternehmen regelmäßig die Möglichkeit zum Blutspenden in ihren Räumlichkeiten an – Mitarbeiter_innen sind selbstredend dazu eingeladen. Durch die Richtlinie Hämotherapie kommt es dabei jedoch in regelmäßigen Abständen zur Stigmatisierung und Ausgrenzung von schwulen, bisexuellen und trans* Mitarbeiter_innen. Dieser Umstand bringt Unternehmen in den Konflikt, zwischen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und dem Schutz ihrer Mitarbeiter_innen vor Diskriminierung abwägen zu müssen. Sollen die eigenen Mitarbeiter_innen dieser Diskriminierung offen ausgesetzt werden? Sollen Blutspenden in den eigenen Räumlichkeiten zukünftig nicht mehr angeboten werden?
Vor diesem Hintergrund haben sich Unternehmen der Deutschen Wirtschaft mit PROUT AT WORK zusammengeschlossen und fordern mit klarer Haltung von Entscheidungsträger_innen ein Ende der Diskriminierung.
WIE GEHT’S BESSER?
Die Gesundheit und Unversehrtheit der Patient_innen, die auf Blutspenden angewiesen sind, steht fraglos an vorderster Stelle. Die gewünschte Reinheit von Blutkonserven durch eine gezielte Auswahl der Spender_innen scheint dabei auf den ersten Blick nachvollziehbar und effizient. Bei genauerem Hinschauen fällt jedoch auf, dass die Auswahl der Spender_innen anhand ihrer Sexualität derzeit mehr auf Vorurteilen als auf Tatsachen ruht.
Es gibt effizientere Wege, die Reinheit von Blutkonserven zu sichern, als Rückschlüsse auf das Risikobewusstsein aufgrund sexueller Orientierung.
Durch gezielte Befragungen von Spender_innen – unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung – ließe sich ein klareres Bild vom individuellen Sexualverhalten zeichnen. Fragen nach einer monogamen Partnerschaft, dem letzten Wechsel der_des Sexualpartner_in und dem Praktizieren von Safer Sex würden dabei die Grundlage schaffen, mögliche Spender_innen anhand von Tatsachen anstelle von Annahmen zu selektieren.
Auch die Rückstellungsdauer von vier Monaten könnte reduziert werden, ohne bei den gewonnenen Blutkonserven an Sicherheit einzubüßen. So zeigen andere Länder mit hohem Gesundheitsstandard, dass das hohe Gebot an Sicherheit auch mit einer kürzeren Rückstellungsdauer vereinbar ist. In unserem Positionspapier finden sich einige Beispiele zur Handhabe anderer Länder.
WAS WIR FORDERN
Besonders in Zeiten, in denen die Gewinnung von Blutspenden zunehmend zu einer Herausforderung wird, sehen wir eine Erweiterung des Spender_innenkreises als eine zielführende Lösung. Aber nicht nur Effizienz sollte hier im Vordergrund stehen – sondern in erster Linie die Menschlichkeit. Stabile Strategien basieren auf Fakten, nicht auf Vorurteilen.
- Wir fordern eine Modernisierung der Blutspende-Richtlinien mit einer klaren Entscheidung gegen Stigmatisierung und für Inklusion.
- Wir fordern von der Bundesärztekammer und weiteren zuständigen Akteur_innen eine Änderung der Richtlinie Hämotherapie, um die Ausgrenzung schwuler und bisexueller Männer und trans* Personen zu beenden.
- Es ist möglich, die Sicherheit von Blutkonserven mit dem Anspruch auf Diskriminierungsfreiheit zu verbinden. Andere Länder haben das bereits vorgemacht – es ist Zeit, dass Deutschland nachzieht.
Unterstützer_innen Unternehmen:
Unserem Aufruf gegen Diskriminierung sexueller Minderheiten bei Blutspenden sind mittlerweile 19 Unternehmen gefolgt und haben das Positionspapier unterzeichnet. Danke für Ihre Unterstützung!
Update 10. Januar 2023
Laut aktuellen Berichten soll ab dem 01. April 2023 ein weiterer Schritt gegen die Diskriminierung schwuler und bisexueller Männer sowie trans* Personen getätigt und eine Bestimmung aus dem aktuellen Koalitionsvertrag erfüllt werden. Momentan gibt es eine Rückstellungsfrist von vier Monaten für „Menschen mit sexuellem Risikoverhalten“.
Mit der neuen Regelung soll der Bundesärztekammer per Gesetz vorgeschrieben werden, innerhalb von vier Monaten in Zusammenarbeit mit dem Paul-Ehrlich-Institut die Blutspende-Richtlinie so anzupassen, dass die viermonatige Rückstellungfrist von schwulen und bisexuellen Männern sowie von trans* Personen aufgrund von sexuellen Kontakten mit mehr als einer Person wegfällt. Der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sagte hierzu: „Blutspende ist eine Sache von Risikoverhalten, nicht von sexueller Orientierung. Versteckte Diskriminierung darf es auch bei diesem Thema nicht geben.“ Hiermit macht Lauterbach deutlich, dass die Rückstellung von der Blutspende ein veraltetes, diskriminierendes Konzept ist und das Risikoverhalten (in diesem Fall häufig wechselnde Sexualpartner*innen) aller Menschen gleich bewertet werden sollte.
Update 24. November 2022
Im August dieses Jahres wurde die Regierung nach weiteren Schritten gegen die Diskriminierung von schwulen und bisexuellen Männern sowie von trans* Personen gefragt, jedoch priorisiert diese das Thema der Blutspende derzeit nicht. Wir erhoffen uns aber, dass durch den Aktionsplan „Queer Leben“, welcher am 18. November veröffentlicht wurde, dieses wichtige Thema wieder in den Fokus der Bundesregierung rückt und somit die Diskriminierung schwuler und bisexueller Männer sowie trans* Personen in dem Bereich der Blutspende ein Ende finden kann. Als positives Beispiel ging erst vor kurzem unser Nachbarland Österreich voran. Dort trat im August 2022 die sogenannte „3x3x3-Regelung“ in Kraft. Diese beinhaltet, dass Menschen – unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung – welche innerhalb von drei Monaten mit drei verschiedenen Personen Sex hatten für drei Monate von der Blutspende ausgeschlossen werden.
Update 24. september 2021
Die Bundesärztekammer hat zusammen mit dem Paul-Ehrlich-Institut die Richtlinie zur Hämotherapie aktualisiert und veröffentlicht. Die neue Richtlinie setzt eine Rückstellungsfrist von vier Monaten für Menschen mit sexuellem Risikoverhalten fest. Dazu gehört nach wie vor der sexuelle Kontakt zu mehr als einem schwulen oder bisexuellen Mann, sowie der sexuelle Kontakt zu einer trans* Person. Die Rückstellungsfrist für Männer in einer festen, monogamen Beziehung entfällt dagegen vollständig.
Update 15. Juni 2021
Laut einem Bericht von watson.de hat der Arbeitskreis Blut eine Neuregelung der Richtlinie Hämotherapie vorgeschlagen: Demnach soll die Rückstellungsfrist für homosexuelle und bisexuelle Männer bei der Blutspende auf vier Monate verkürzt werden (und in festen, monogamen Beziehungen wegfallen). Wir sehen dies als wichtigen Schritt auf dem Weg hin zu einer diskriminierungsfreien Richtlinie und möchten an dieser Stelle den vielen Engagierten in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik danken, die sich gemeinsam mit uns in vielfältigen Initiativen für eine Änderung der Richtlinie Hämotherapie einsetzen. Wir zählen auf die Bundesärztekammer, dem Vorschlag des Arbeitskreises Blut zuzustimmen und den Weg für eine Neuregelungen frei zu machen. Dennoch sind wir noch längst nicht am Ziel: Denn erst, wenn die Regelungen der Richtlinie einheitlich für alle Menschen gleich gelten, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität, kann von einer diskriminierungsfreien Blutspende die Rede sein. Wir freuen uns darauf, die vollständigen Vorschläge des Arbeitskreises Blut zu lesen, denn wir haben Fragen: Inwieweit schließen die geplanten Neuregelungen trans* Personen mit ein? Sind Regelungen unabhängig von sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität geplant? Sind verbindliche Regelungen für die Nutzung modernster medizinischer Testverfahren enthalten?
Update 24. März 2021
Nach Anträgen der Fraktionen Bündnis 90/ Die Grünen und FDP fand am 24. März eine Anhörung des Gesundheitsausschusses zum Thema Blutspende statt. Bei dieser waren neben Vertreter_innen der Deutschen Hämophiliegesellschaft zur Bekämpfung von Blutkrankheiten e.V., der Bundesärztekammer, dem LSVD, der Deutschen Aids-Hilfe auch der PROUT AT WORK-Vorstand Albert Kehrer als Experte eingeladen. Der „Expertenstreit über Zulassung zur Blutspende“ sowie unser daran anschließender Talk mit Nikita Baranov ist ab sofort online abrufbar.
UPDATE 12. November 2020
Die Beratungen von Vertreter_innen des Paul-Ehrlich-Instituts, der Bundesärztekammer und des Gesundheitsministeriums zur Richtlinie Hämotherapie sind (noch) zu keinem abschließenden Ergebnis gekommen. Daher bleibt leider vorerst alles beim Alten und das de-facto-Blutspendeverbot für schwule und bisexuelle Männer und trans* Personen bleibt zunächst bestehen.
In einem öffentlichen Brief hatten wir uns erneut dafür eingesetzt, die Richtlinie Hämotherapie zu ändern. Ein erneutes Treffen der Verantwortlichen ist für Januar 2021 angesetzt. Auch wenn wir uns ein anderes Ergebnis der Beratungen erhofft hatten, werden wir unser Engagement fortführen und uns weiter gegen die diskriminierenden Regelungen einsetzen. Unser Positionspapier kann fortlaufend von weiteren Unternehmen unterzeichnet werden.
UPDATE 11. NOVEMBER 2020
Auch wenn in Zeiten von Corona vieles still zu stehen scheint – es kommt wieder Bewegung in die Diskussion darum, ob und unter welchen Umständen schwule und bisexuelle Männer und trans* Personen auch weiterhin von der Möglichkeit Blut zu spenden, ausgeschlossen werden oder nicht.
Gerade während der Covid-19 Pandemie geht der Vorrat an Blutkonserven stark zurück und Spenden werden dringend benötigt. Umso aktueller und dringender ist die Frage, warum homo- und bisexuelle Männer und trans* Personen durch die derzeitige Rückstellungsfrist der Spende von einem Jahr, nach dem letzten Geschlechtsverkehr, de facto vom Blutspenden ausgeschlossen sind.
Kürzlich sind Vertreter_innen des Paul-Ehrlich-Instituts und der Bundesärztekammer zusammengekommen, um über die Richtlinie Hämotherapie und unter anderem eine mögliche Verkürzung der Rückstellung von schwulen und bisexuellen Männern und trans* Personen zu beraten. Ergebnisse dieses Treffens sind leider noch nicht öffentlich – das hindert uns allerdings nicht daran, erneut auf unsere Forderungen aufmerksam zu machen. Die PROUT AT WORK-Foundation hat gestern einen öffentlichen Brief an das Paul-Ehrlich-Institut und die Bundesärztekammer versandt.
Gemeinsam mit weiteren Engagierten setzen wir uns nachhaltig dafür ein, dass Unternehmen in Deutschland ermöglicht wird, ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen, beispielsweise durch die Unterstützung von Blutspenden auf Firmengeländen, und gleichzeitig ihrem Anspruch und ihrer gesetzlichen Verpflichtung an ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld nachzukommen.
SIE WOLLEN AUCH HALTUNG ZEIGEN?
Wenn auch Sie sich gegen die Diskriminierung sexueller Minderheiten aussprechen wollen, können Sie sich für weitere Informationen und Fragen gerne direkt an uns wenden.