PROUT EMPLOYER Continental

„Wir wollen ein deutlich sichtbares Signal nach innen und außen setzen, dass uns die Chancengleichheit am Herzen liegt.“

Matthias Metzger ist aktuell Personalleiter des Geschäftsbereichs Reifen bei Continental in Hannover. Nach dem Studium in Stuttgart und Hamburg (BWL) und Newcastle (MBA) begann er seine berufliche Karriere 2002 bei Daimler als Internationaler Trainee. 2005 erfolgte dann der Wechsel zu Continental, wo er in verschiedenen Managementfunktionen im HR-Bereich in Deutschland und USA tätig war, u.a. Business Partner, Leiter Shared Service NAFTA, Leiter Corporate Talent Management & Organizational Development.

Herr Metzger, als Head of HR sind Sie unter anderem Brücke zwischen Talenten, Mitarbeiter_innen und der Geschäftsführung. Welche Erfahrungen bezüglich LGBT*IQ-Chancengleichheit haben Sie dabei bisher gemacht?

 

Matthias Metzger: In den letzten Jahren hat sich unser Engagement für eine vielfältige Belegschaft deutlich verstärkt, auch mit Blick auf LGBT*IQ. So haben wir z.B. weltweit im Rekrutierungsprozess im Angestellten-Bereich ein standardisiertes Testverfahren eingeführt. Noch bevor die sonstigen Unterlagen geprüft werden, findet so eine erste Vorauswahl statt, ohne den Einfluss von Vorurteilen. Wir wollen den Best Fit! Darüber hinaus haben wir alle Führungskräfte weltweit in Diversity-Workshops sensibilisiert und fragen in der jährlichen Mitarbeiterbefragung auch das Thema Chancengleichheit ab.

Continental gehört mit dem Kooperationsstart 2019 zu den jüngeren PROUTEMPLOYER. Welche Aktivitäten gibt es bisher in Ihrem Unternehmen zu LGBT*IQ am Arbeitsplatz?

 

Matthias Metzger: Das Thema ist an sich im Unternehmen nicht neu, jedoch haben wir uns 2018 entschieden, es offensiver hervorzuheben. Der erste Schritt waren Stammtische an den großen Standorten in Regensburg und Hannover sowie die regelmäßige Teilnahme an der Sticks and Stones. Für 2019 planen wir weitere Aktivitäten, u.a. ein Dialog-Format mit unserer Personalvorstand Ariane Reinhart, Albert Kehrer und einer Reihe von LGBT*IQ-Kolleginnen und Kollegen, die über ihre Erfahrungen im Unternehmen berichten werden.

„Wenn wir ein für viele Menschen so sensibles Thema wie LGBT*IQ-Chancengleichheit im Unternehmen gut hinbekommen, dann haben wir einen großen Schritt geschafft hin zu einer echten gelebten Vielfalt.“

Was hat Sie dazu bewegt PROUTEMPLOYER zu werden und was wünschen Sie sich im Rahmen unserer gemeinsamen Kooperation?

 

Matthias Metzger: Wir wollen ein deutlich sichtbares Signal nach innen und außen setzen, dass uns die Chancengleichheit am Herzen liegt. PROUT AT WORK bietet einen tollen Rahmen hierfür, da zum einen die Sichtbarkeit erhöht wird, gleichzeitig auch verschiedenen Dialogformate bestehen, um von anderen Unternehmen zu lernen.

Sie waren sofort zu einem gemeinsamen Interview bereit – Danke nochmals dafür! Inwiefern ist LGBT*IQ-Chancengleichheit für Sie auch eine Herzensangelegenheit?

 

Matthias Metzger: Wenn wir ein für viele Menschen so sensibles Thema wie LGBT*IQ-Chancengleichheit im Unternehmen gut hinbekommen, dann haben wir einen großen Schritt geschafft hin zu einer echten gelebten Vielfalt. Dieser liberale Esprit überträgt sich dann auch auf die Akzeptanz anderer Lebens- und Arbeitsmodelle und dient somit allen. Und es hilft uns, Tabu-Themen, die in manchen Ländern stärker ausgeprägt sind als in anderen, greifbarer zu machen. Ich glaube fest daran, dass jeder Mitarbeiter das Recht hat erfolgreich zu sein – auf die jeweils eigene Art und Weise. Und dafür benötigt es eine Unternehmenskultur die Vielfalt fördert und schätzt.

Sie haben bei Continental das Bewerbungsverfahren ordentlich auf den Kopf gestellt. Einer Ihrer Gründe, warum Sie anstelle auf CVs auf Diagnostik zurückgreifen, ist die Förderung von Fairness und Vielfalt. Inwiefern glauben Sie das gerade LGBT*IQ-Talente hiervon profitieren könnten?

 

Matthias Metzger: Die Erneuerung unserer Bewerbungsverfahrens ist eine Initiative, an der Viele mitgearbeitet haben – und bei der es anfangs auch Widerstände und Zweifel gab. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Schul- und Hochschulnoten keine Prognose für beruflichen Erfolg darstellen, dennoch klammern sich viele Personaler daran, weil es scheinbar so einfach vergleichbar ist. Bei Continental wollen wir allen Talenten eine Chance geben und jeweils die beste Passgenauigkeit, also den Best Fit von Person und Stelle sicherstellen und das geht nur durch objektive Testverfahren.

Lieber Herr Metzger, vielen Dank für das Gespräch!
PROUT EMPLOYER Deutsche Bahn

„Ich bin davon überzeugt, dass wir das Potenzial dieser Vielfalt mehr denn je brauchen, um die heute notwendige Innovationskraft zu entfalten und als Unternehmen leistungsfähiger zu werden.“

Martin Seiler ist seit dem 1. Januar 2018 Vorstand Personal und Recht der Deutschen Bahn AG. Zuvor war er in verschiedenen HR-Funktionen bei der Deutschen Telekom tätig, zuletzt ab 2015 als Geschäftsführer Personal und Arbeitsdirektor für 70.000 Mitarbeiter der Telekom Deutschland sowie als Sprecher der Geschäftsführung der Telekom Ausbildung konzernweit für alle Auszubildenden und dualen Studenten verantwortlich. Seine berufliche Laufbahn begann er 1980 bei der Deutschen Post in Baden-Baden. Nach Stationen u. a. bei Deutscher Postgewerkschaft, wo er u. a. Mitglied des „Social Dialogue“ der Europäischen Kommission war, bzw. ver.di übernahm Seiler ab 2003 verschiedene Management Funktionen bei der Deutschen Post in Bonn.

Herr Seiler, Sie haben Ihre neue Funktion unter anderem als Personalvorstand der Deutschen Bahn AG im Januar 2018 angetreten. Einen starken Schwerpunkt Ihrer aktuellen Aufgaben legen Sie auf das Recruiting. Inwiefern glauben Sie das gerade LGBT*IQ-Talente hiervon profitieren könnten?

 

Martin Seiler: Es stimmt, wir stellen derzeit auf Rekordniveau ein: allein im vergangenen Jahr haben wir mehr als 24.000 Mitarbeitende im Konzern begrüßt. Neue Kolleg*innen, die die große Vielfalt in unserer Belegschaft weiter bereichern, in jeder Hinsicht: Alter, ethnische Herkunft, Religion, Geschlecht und auch sexuelle Orientierung. Wir schätzen diese Vielfalt und betrachten Diversity als einen Gewinn für den Konzern. Unsere aktuelle Arbeitgeberkampagne heißt „Willkommen, du passt zu uns“ und steht genau für diese Offenheit. Alle motivierten Bewerber*innen sind uns herzlich willkommen – unabhängig von sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität und ethnischer Herkunft.

Welche Aktivitäten gibt es bisher bei der Deutschen Bahn zu LGBT*IQ am Arbeitsplatz?

 

Martin Seiler: Da gibt es viele Beispiele, so waren wir Vorreiter in puncto Anerkennung der eingetragenen Lebenspartnerschaften: sämtliche Regelungen zu Vergünstigungen für Ehepartner*innen unserer Beschäftigten (z.B. Fahrvergünstigungen, Freistellungsregelungen und Beihilfen) sind auch auf eingetragene Lebenspartner*innen übertragen worden. Wir haben mit dem Betriebsrat eine Anti-Diskriminierungsvereinbarung abgeschlossen, die sowohl für die alltägliche Zusammenarbeit als auch in Bezug auf Karrierechancen gilt. Unser Anspruch ist eine Unternehmenskultur, in der Homo- und Transphobie nicht vorkommen. Deshalb bin ich sehr stolz, dass auch Mitarbeiter*innen der DB unter Germanys Top 100 Out Executives sind. Wir unterstützen unser internes LGBT-Mitarbeiternetzwerk „railbow“ und zeigen auch nach außen Flagge: seit Jahren schon beim den CSD-Paraden, und im letzten Jahr erstmals auch durch die Beflaggung des Berliner Hauptbahnhofs während der Pride-Week.

„Als Konzern mit 200.000 Mitarbeiter*innen allein in Deutschland engagieren wir uns schon seit vielen Jahren für Chancengleichheit, Wertschätzung und Respekt und als Vorstand für Personal und Recht kann ich mich immer wieder für die Vielfalt unserer Belegschaft begeistern.“

Die Deutsche Bahn ist Teil der PROUT EMPLOYER-Kooperation! Welche Ziele verfolgt die Deutsche Bahn Ihrer Einschätzung nach mit der PROUT EMPLOYER-Kooperation?

 

Martin Seiler: Durch die Mitgliedschaft bei PROUT AT WORK können wir unseren Mitarbeiter*innen konkrete und praktische Hilfestellung beim Coming Out am Arbeitsplatz und bei der Netzwerkarbeit bieten. Wir wollen ihnen Unsicherheiten nehmen, Gelegenheit zum Austausch untereinander geben und den Mut, uns auch zu spiegeln, wenn eine Sache mal nicht so gut läuft. Dank der zahlreichen Veranstaltungen und Veröffentlichungen von PROUT AT WORK können wir auch unsere Expertise zu LGBT*IQ-Themen am Arbeitsplatz ausbauen und neue Impulse innerhalb der DB weitergeben.

Mit Ihrem starken Fokus auf HR und Recruitment scheinen die Mitarbeiter*innen für Sie einen besonderen Platz zu haben. Inwiefern ist auch LGBT*IQ-Chancengleichheit für Sie eine Herzensangelegenheit?

 

Martin Seiler: Als Konzern mit 200.000 Mitarbeiter*innen allein in Deutschland engagieren wir uns schon seit vielen Jahren für Chancengleichheit, Wertschätzung und Respekt und als Vorstand für Personal und Recht kann ich mich immer wieder für die Vielfalt unserer Belegschaft begeistern. Ich bin davon überzeugt, dass wir das Potenzial dieser Vielfalt mehr denn je brauchen, um die heute notwendige Innovationskraft zu entfalten und als Unternehmen leistungsfähiger zu werden. Und nicht zuletzt profitieren unsere Kund*innen von einer offenen, wertschätzenden Kultur, in der Mitarbeiter*innen ihre sexuelle Orientierung nicht verstecken und sich am Arbeitsplatz wohlfühlen.

Lieber Herr Seiler, vielen Dank für das Gespräch!
Im Gespräch mit… Maren Borggräfe

„Die Befürchtung – so subjektiv sie sein mag – hat in jedem Falle erst einmal ihre Berechtigung.“

Maren Borggräfe, Gründerin und Partnerin von autenticon – consulting in context, begleitet als systemische Beraterin, Trainerin
und Coach persönliche und organisationale Veränderungs-prozesse.

Ihre Herzensthemen sind Wandel von Unternehmenskultur und gelingende Kommunikation. Sie begleitet als Trainerin das PROUT AT WORK-Seminar „Soll ich oder soll ich nicht?“ Coming Out am Arbeitsplatz.

Maren, Du bist dieses Jahr zum 3. Mal in Folge als Trainerin für das Coming Out Seminar „Soll ich oder soll ich nicht“ von PROUT AT WORK engagiert. Welchen Bezug hast Du zum Thema LGBT*IQ und Coming Out?

 

Maren Borggräfe: Als ich 19 Jahre alt war, kurz nachdem ich aus einer süddeutschen Kleinstadt zum Studium nach Berlin gekommen war, dämmerte mir, dass ich mich auch in Frauen verlieben kann – und das heftig! Das war für mich – aus einem sehr religiösen Elternhaus stammend – bisher völlig außerhalb jeder Denkmöglichkeit gewesen. Denn Homosexuelle waren aus meiner Sicht Sünder, die sich bemühen mussten, wieder auf den rechten Weg zu kommen. Was für ein Schock – für mich, aber vor allem für meine Eltern! Meine Mutter hat recht schnell gespürt, dass irgendwas im Busch war, so dass ich keinen anderen Ausweg sah, mich relativ schnell zu Hause zu outen. Danach nahm das Schicksal seinen Lauf. Meine Eltern lehnten meine „unnormalen“, nicht gottgewollten Neigungen ab und können bis heute mein Lebensmodell nicht vollständig akzeptieren. Und das, obwohl ich nach einigen Irrungen und Wirrungen seit 14 Jahren mit meiner Frau zusammen bin und wir zwei wunderbare Jungs zusammen haben. Aus der eigenen Erfahrung heraus weiß ich, in welche inneren und äußeren Nöte einen das Coming Out bringen kann. Gleichzeitig habe ich aber auch erlebt, wie sehr die Auseinandersetzung mit sich selbst zur eigenen Reifung beiträgt und welche Kraft ich aus dieser Facette meiner Persönlichkeit schöpfen kann, wenn ich voll dazu stehe und sie offen lebe.

„Aus der eigenen Erfahrung heraus weiss ich, in welche inneren und äusseren Nöte einen das Coming Out bringen kann.“

Welche Erfahrungen hast Du bei Deinem Coming Out gemacht?

 

Maren Borggräfe: Mein Coming Out in der Familie war ein steiniger Weg, angefangen vom elterlichen Verbot, darüber gegenüber Dritten, sogar den eigenen (jüngeren) Brüdern zu reden, über Phasen der völligen Entfremdung von meinen Eltern bis hin zu der überraschenden Erkenntnis, dass Unterstützung von unvermuteter Seite kommen kann. So haben meine Großeltern und meine Tanten mütterlicherseits mich von Anfang an sehr unterstützt und auch meine Oma väterlicherseits reagierte überraschend gelassen. Andere Familienmitglieder lehnten es wie meine Mutter ab, zu meiner Hochzeit zu kommen. Das schmerzte damals sehr. Geholfen hat mir ein ganz aktiver durch eine professionelle Coach begleiteter Prozess der Annahme – meiner selbst, aber auch der Menschen, die Schwierigkeiten mit meinem so sein hatten und haben. Die Erkenntnis, dass jede und jeder es eben so gut macht, wie sie oder er kann, und ich eine Haltungsveränderung bei anderen nicht selbst herbeiführen oder gar erzwingen kann, war ganz wichtig für mich. Ich habe dadurch innere Freiheit gewonnen, konnte die Rebellin in mir versöhnen und dadurch auch wieder den Boden für Annäherung, gerade mit meiner Mutter, bereiten.
Im Freundeskreis und beruflich habe ich bis auf ganz wenige Ausnahmen sehr gute Erfahrungen mit dem Coming Out gemacht. Je offener ich selbst mit meiner Lebensweise umgehe, umso offener sind auch die Reaktionen. Am Arbeitsplatz bin ich ganz unterschiedliche Wege gegangen beim Coming Out. Da ich meine Frau bei der Arbeit kennengelernt habe, während wir beide noch in der Probezeit waren, haben wir uns zunächst sehr zurückgehalten. Bis eine eigentlich nicht Eingeweihte und fragte, ob wir noch zusammen seien, es gingen Gerüchte herum, wir hätten uns getrennt. Danach hielten wir es nicht mehr für erforderlich, um den heißen Brei rumzureden. Tatsächlich war kaum jemand überrascht. Kein Wunder! Wir waren sowas von verliebt. Das lässt sich schwer verbergen. Bei einem späteren Arbeitgeber habe ich mich vor versammelter Mannschaft geoutet bei der Vorstellungsrunde der „Neuen“, indem ich als Hobby mein politisches Engagement im LGBT*I-Bereich genannt habe. Auch hier waren die Reaktionen eher anerkennend und bestätigend, wenn auch spürbar war, dass ich als irgendwie „anders“ wahrgenommen wurde. Seit ich selbständig bin, handhabe ich es so, dass ich bei Kooperationspartnern und Kunden, abhängig von der Situation, von meiner Familie erzähle oder auch nicht. Einfach so, wie jeder Hetero auch abhängig vom Bauchgefühl mehr oder weniger Privates erzählt.

Warum ist Deiner Meinung nach ein Coming Out am Arbeitsplatz wichtig?

 

Maren Borggräfe: Ich bin überzeugt, dass Menschen dann am kreativsten, innovativsten und effektivsten Arbeiten, wenn sie sich in ihrer Arbeitsumgebung wohlfühlen, ihren Kolleg_innen und Vorgesetzten vertrauen und sich in der Ganzheit ihrer Persönlichkeit zeigen dürfen. Wenn ich einen Teil meiner Energie darauf verwenden muss, einen Anteil meiner eigenen Persönlichkeit zu verbergen, fahre ich quasi mit angezogener Handbremse. Das ist sehr anstrengend und energieraubend. Kraft, die ich für meine Arbeit gut gebrauchen könnte, geht verloren. Ich befinde mich im ständigen inneren Konflikt mit mir selbst. Authentisches Auftreten ist dann schwierig. Denn wir Menschen haben ein sehr feines Gespür dafür, wenn unser Gegenüber sich nicht in sich stimmig verhält. Gerade für Führungskräfte kann das zum Problem werden. Abgesehen davon, dass wir erpressbar sind, wenn wir ein Geheimnis haben, ist es eine ständige Wackelpartie, sich zu exponieren – und das fordert die moderne Arbeitswelt häufig von uns. Der dabei entstehende Stress kann sogar krank machen und zu psychosomatischen Symptomen führen.
Umgekehrt kann ich eine Organisation durch mein offenes Auftreten unheimlich bereichern und zur Diversität beitragen, die – das ist wissenschaftlich erwiesen – Voraussetzung ist für die hohe Leistungsfähigkeit von Teams. Ich kann ein Stück Kultur mitgestalten und durch mein Vorbild auch anderen den Weg bereiten.

„Grundsätzlich möchte ich allen da draußen, die noch am Zaudern sind (und es gibt noch viel mehr davon, als wir ahnen!), Mut machen!“

Was würdest Du LGBT*IQ Beschäftigten raten, die die Befürchtung haben bei ihrem Coming Out am Arbeitsplatz auf Ablehnung zu stoßen?

 

Maren Borggräfe: Die Befürchtung – so subjektiv sie sein mag – hat in jedem Falle erst einmal ihre Berechtigung. Jede und jeder kann selbst entscheiden, ob und wenn ja, wann und wie er oder sie sich outet. Das ist mir ganz wichtig zu sagen. Insbesondere im Kontext des organisationalen Diversity Managements, das ja teilweise das Coming Out als wünschenswert darstellt. Das ist eine ganz persönliche Entscheidung, die weitreichende Folgen haben kann.
Ich empfehle, sich mutig Unterstützung zu holen. Das kann ein Freund, eine Freundin sein, zu der wir Vertrauen haben, ein Ansprechpartner in der Organisation z.B. aus dem LGBT*I-Netzwerk, falls vorhanden, oder ein professioneller Coach. PROUT AT WORK bietet regelmäßig das Seminar „Soll ich oder soll ich nicht? Coming-Out am Arbeitsplatz“ an. Dort können sich LGB angeleitet von erfahrenen Trainer_innen in geschütztem Rahmen austauschen, ihre bisherigen Coming-Out-Erfahrungen reflektieren, neue Verhaltensweisen ausprobieren und sich gegenseitig für das Coming Out im Job stärken. Auch immer mehr Coaches offerieren Begleitung beim Coming Out an. Häufig kommen diese – so wie ich – selbst aus der LGBT*I Community und kennen die besonderen Herausforderungen aus eigenem Erleben.
Es hilft vielen, die vor der Entscheidung stehen, sich selbst zu am Arbeitsplatz zu outen, sich mit den eigenen bisherigen Erfahrungen mit dem Coming Out in anderen Kontexten auseinanderzusetzen. Was habe ich erlebt? Wie habe ich mich dabei gefühlt? Was waren typische Reaktionen anderer und wie ging es mir damit? Was waren meine „Helferlein“, Strategien und Verhaltensmuster, die mir halfen, mit der schwierigen Situation umzugehen? Welche davon stärken mich vielleicht für die jetzige Situation? Welche möchte ich lieber ablegen und wie möchte ich es diesmal stattdessen angehen?
Auch sollten Beschäftigte sich gut informieren, ihr Umfeld beobachten und realistisch einschätzen: Wie offen ist die Organisationskultur? Wie wird hier grundsätzlich mit Fremdem umgegangen? Welche offenen LGBT*I gibt es in der Firma? Welche Risiken hat ein Coming Out? Und bin ich bereit, diese zu tragen? Wie wichtig ist es mir, mich zu outen? Und welchen Nutzen habe ich davon? Bin ich ggfs. bereit, auch den Arbeitgeber zu wechseln, wenn es nicht passt?
Grundsätzlich möchte ich allen da draußen, die noch am Zaudern sind (und es gibt noch viel mehr davon, als wir ahnen!), Mut machen! Traut euch, euch zu zeigen. Wenn ihr in eurer Mitte seid und zu euch steht, tun sich unerwartete Wege auf. Das was ihr aussendet, kommt zu euch zurück!

Im Gespräch mit… Ise Bosch

„Die Überreste der eigenen Vorurteile abbauen!“

Ise Bosch ist Gründerin und Geschäftsführerin der Dreilinden gGmbH in Hamburg, die sich für die Rechte von lesbischen, bi-, trans* und inter* Menschen, Frauen und Mädchen einsetzt, und Mitgründerin von filia.die frauenstiftung.

Die zertifizierte Ecoanlageberaterin tritt öffentlich für den verantwortungsvollen und nachhaltigen Umgang mit Vermögen ein. 2003 gründete sie zusammen mit anderen Frauen das Erbinnen-Netzwerk Pecunia e. V. 2007 erschien im Verlag C.H. Beck ihr Buch „Besser spenden! Ein Leitfaden für nachhaltiges Engagement“, 2018 ihr Buch „Geben mit Vertrauen“.

2017 erhielt Ise Bosch den Transformative Philanthropy Award der Astraea Lesbian Foundation for Justice in New York City. 2018 erhielt sie den Deutschen Stifterinnenpreis.

Frau Bosch, warum setzten Sie sich mit Dreilinden für LGBT*IQ-Menschen weltweit ein?

 

Ise Bosch: Die Frage sollte lauten: warum setzen sich so wenig Menschen und Institutionen hierfür ein. LGBTIQ-Menschen gehören zu den gefährdetsten sozialen Gruppen überhaupt. Trans-Frauen sind fast fünfzigmal eher HIV positiv als der Durchschnitt der Bevölkerung, beispielsweise, und kaum jemand macht so viele Selbstmordversuche wie LGBTQ Jugendliche. Dennoch ist Dreilinden eine von nur zwei Stiftungen in Deutschland, die auf dieses Thema spezialisiert sind und international fördern. Deutsche Förderungen zu diesem Thema ins Ausland – inklusive öffentlicher Förderungen – beliefen sich 2016 auf bescheidene 3,1 Mio. Euro. Die darin enthaltenen 684.000 Euro von Dreilinden sind mehr als die Summe, die unser Entwicklungsministerium diesem Thema widmet.

Im Rahmen unserer PROUT AT WORK-Konferenz 2018, befassen wir uns unter anderem mit der Situation von LGBT*IQ-Personen in Russland, der arabischen wie auch afrikanischen Welt. Wo sehen Sie Unterschiede in der Gleichstellungsarbeit innerhalb der unterschiedlichen globalen Regionen? Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten?

 

Ise Bosch: Diese Antwort wird hier nur sehr pauschal sein können und es gibt immer Gegenbeispiele. Grundsätzlich ist zu beobachten, dass stark religiös geprägte Kulturen geschlechtliche Vielfalt eher ablehnen – nicht nur der Islam, auch katholische und evangelikalisch-christliche Religionen. Sogenannte Verfolgerstaaten mit starker rechtlicher Diskriminierung bis hin zur Todesstrafe für Sex unter Männern finden sich vermehrt ehemals kolonialisierten Ländern. Die Verfolgung hat einen Hintergrund noch aus der Kolonialzeit – die Sittengesetze sind häufig noch die der Kolonialmächte! Sie sind eine enorm wirkmächtige Hinterlassenschaft der Missionierung – durch uns, die Europäer. Strukturelle gesellschaftliche Diskriminierung macht das Leben für queere Menschen ebenso gefährlich wie rechtliche Diskriminierung – besonders wenn eine Kultur stark patriarchalisch geprägt ist, so wie viele Gesellschaften des ehemaligen Ostblocks, gerade in Russland, der Ukraine und den zentralasiatischen Republiken. Und wenn sich eine Gesellschaft nationalistisch abschottet und militaristischer wird, dann wird die Geschlechter-Binarität forciert, das geht grundsätzlich immer zu Lasten von sexuell und geschlechtlich diversen Menschen.

Gibt es aus Ihrer Sicht eine unternehmerische Verantwortung für LGBT*IQ Menschen weltweit?

 

Ise Bosch: Natürlich, schon allein aus Verantwortung für die Mitarbeitenden – ob sie nun selbst zur „community“ gehören oder Angehörige oder Freund_innen dort haben oder einfach die Möglichkeit haben wollen, sich persönlich frei zu entwickeln. Unternehmen haben natürlich ein Interesse am Wohlergehen ihrer Mitarbeiter_innen, nicht nur weil sonst die Produktivität leidet, sondern einfach so, aus Verantwortung als Arbeitgeber. Und damit haben sie auch ein Interesse an liberaleren Gesetzen. Es ist ein Unding, wenn einzelne Mitarbeiter_innen nicht nach Singapur entsandt werden können, weil es dort diskriminierende Gesetze gibt. Aber solange diese Gesetze und das gesellschaftliche Tabu existieren, brauchen die Mitarbeitenden Ansprechpartner_innen im Unternehmen, die sie vertrauensvoll beraten können. Dazu muß das Unternehmen sehr deutlich klarstellen, daß es Diversität unterstützt und sich um die entsprechende Expertise bemüht. Es geht ja nicht nur um die wenigen lesbischen und schwulen Menschen und die noch weniger trans und inter Personen, es geht um Entfaltungsmöglichkeiten für alle. Die Soziologie weiß inzwischen, dass wesentlich mehr Menschen im Lauf ihrer Biographie die sexuelle Orientierung ändern, als früher angenommen wurde.

Das Center for Talent Innovation proklamierte in einer 2016 veröffentlichten Studie, dass Unternehmen den Einfluss ihrer jeweiligen Wirtschaftsmacht in der Arbeit um rechtliche Chancengleichheit für LGBT*IQ-Personen nicht unterschätzen sollen. Wo sehen Sie konkrete Handlungsmöglichkeiten global agierender Unternehmen?

 

Ise Bosch: In mindestens zwei Hinsichten: erstens können sie diskriminierungsarme Arbeitsplätze bieten, und im Fall eines Konfliktes auch Schutz. Und zweitens haben sie vor Ort einen ganz besonderen Zugang zur Verwaltung, Regierung, etc. Nicht nur um formell intervenieren zu können – auch über ihre Beziehungen. Gerade mächtige „Expatriates“ begegnen Menschen mit allerhand Einfluss und können, oder könnten, Hilfe leisten wie sonst kaum jemand. Nicht nur in Krisenfällen natürlich, auch im Sinn einer Horizonterweiterung, durch ihre liberalere Einstellung. Homo- und Transphobie hat eine starke Komponente der schlichten Ignoranz – Menschen kennen das Thema schlecht, sie haben Fragen, die sie aber nicht offen stellen, weil sie verunsichert sind und eine Art „Ansteckung“ fürchten. Wir müssen Situationen finden, in denen die legitimen Fragen gestellt werden können, und sie auch beantworten. Das direkte Gespräch ist dafür natürlich das Beste, und eine vertrauensvolle Situation. Auch Menschen, die nicht zur „community“ gehören, aber ein gewisses „Standing“ haben, können hier Biographien positiv verändern.

Wir befinden uns in ambivalenten Zeiten. So beschrieben Sie in der vierten Ausgabe Ihrer Regenbogen-Philanthropie, zum einen das wachsende Verständnis, dass Diskriminierung von LGBT*IQ-Personen Unrecht ist, zum anderen ihre Lage jedoch nicht weniger – wenn nicht sogar zunehmend prekärer wird. Welchen Beitrag kann jede_r einzelne von uns leisten, dass die Welt für LGBT*IQ Menschen etwas besser wird?

 

Ise Bosch: Die Überreste der eigenen Vorurteile abbauen! Sich trauen, die eigenen kritischen Fragen zu stellen: wo wird’s für mich peinlich, wo sind meine Ängste? Und dann trotzdem öffentlich das Wort ergreifen. Und echte Freundschaften eingehen. Persönliche Freundschaften geben einen unersetzlichen Hintergrund, um für Menschen, die geschlechtlich oder sexuell anders gestrickt sind, auch aufstehen zu können. Und vieles davon ist übertragbar, es gilt in China und in Chemnitz.

Was glauben Sie hält Die Zukunft für die Gleichstellung von LGBT*IQ-Menschenrechten bereit?

 

Ise Bosch: Die Globalisierung ist hier besonders wirkmächtig und sicherlich unumkehrbar. Menschen haben sich schon immer vielfältig geschlechtlich ausgedrückt – nun wird das überall medial erfasst und damit sichtbar. Ich erwarte auf viele, viele Jahre ein Hin und Her zwischen denen, die sich bedroht fühlen und diese Vielfalt bekämpfen, und jungen Leuten, die einfach sind, wie sie sind. Deren Mittel sind aber stärker geworden. Ich glaube, in einer nicht allzu fernen Zukunft wird „community“ und Hilfe für alle geschlechtlich diversen Menschen irgendwie erreichbar sein. Auch wenn die demokratischen Systeme derzeit immer prekärer werden – diese mediale und gelebte Vielfalt wird sich nicht unterdrücken lassen. Das wird für die Einzelnen ein riesiger Fortschritt sein gegenüber jetzt, wo noch immer die meisten jungen geschlechtlich diversen Menschen glauben, sie wären die einzigen mit diesem „Mangel“.

Beth Brooke-Marciniak

„Mein Leben wandelte sich zum Guten; von einem Moment zum anderen von schwarz/weiß zu bunt. Nach 52 Jahren.“

Schon zum dritten Mal in Folge waren Senior Executives bedeutender deutscher und internationaler Wirtschaftsunternehmen und –institutionen der Einladung des PROUT AT WORK-Netzwerkes in die Bankenmetropole Frankfurt am Main gefolgt um sich beim DINNER BEYOND BUSINESS in lockerer Atmosphäre und bei einem erstklassigen Abendessen über die Potentiale und Wege zu einer offenen, vielfältigen und diskriminierungsfreien Arbeitswelt auszutauschen.<br>Darunter waren Vertreter_innen von Continental, BASF, Vattenfall, Coca Cola, Thyssenkrupp, der Europäischen Zentralbank und SAP. In diesem Jahr war es dabei gelungen mit Beth Brooke-Marciniak eine der 100 einflussreichsten Frauen der Welt als Keynote-Speakerin zu gewinnen und mit ihr in einem ungezwungenen Face-to-Face-Dialog, der viele einfühlsame Einblicke und beeindruckende Aussagen zuließ, vor dem spektakulären Ausblick von Deutschlands höchstem Wolkenkratzer ins Gespräch zu kommen.

Mutig“. Dieses Wort kommt einem zwangsläufig in den Sinn, wenn man Beth Brooke-Marciniak, Global Vicepresident Public Policy und Vorstandsmitglied beim global operierenden Beratungshaus EY (Ernst & Young), beim Kamingespräch mit PROUT AT WORK-Vorstand Albert Kehrer zuhört.

Schon zum dritten Mal in Folge waren Senior Executives bedeutender deutscher und internationaler Wirtschaftsunternehmen und –institutionen der Einladung des PROUT AT WORK-Netzwerkes in die Bankenmetropole Frankfurt am Main gefolgt um sich beim DINNER BEYOND BUSINESS in lockerer Atmosphäre und bei einem erstklassigen Abendessen über die Potentiale und Wege zu einer offenen, vielfältigen und diskriminierungsfreien Arbeitswelt auszutauschen.
Darunter waren Vertreter_innen von Continental, BASF, Vattenfall, Coca Cola, Thyssenkrupp, der Europäischen Zentralbank und SAP.

In diesem Jahr war es dabei gelungen mit Beth Brooke-Marciniak eine der 100 einflussreichsten Frauen der Welt als Keynote-Speakerin zu gewinnen und mit ihr in einem ungezwungenen Face-to-Face-Dialog, der viele einfühlsame Einblicke und beeindruckende Aussagen zuließ, vor dem spektakulären Ausblick von Deutschlands höchstem Wolkenkratzer ins Gespräch zu kommen.

Vorbilder – „Wer, wenn nicht ich?“

„Wie mutig“, denken die Zuhörer_innen im Saal also still in sich hinein, wenn Beth Brooke-Marciniak erzählt, dass sie die längste Zeit ihres Lebens nicht offen mir ihrer sexuellen Orientierung umgegangen sei.
Es war im Februar 2011, als sie an der Video-Kampagne „It Gets Better“ zur Ermutigung von LGBT*IQ-Teenagern teilnahm und sich spontan entschloss sich vor laufender Kamera als lesbische Frau zu outen.

„Was würde ich in diesem Video sagen, wenn ich wirklich ehrlich wäre“, hatte sie sich am Abend vorher selbst hinterfragt. „Ich hatte eine Botschaft zu überbringen, von der ich wusste, dass sie von Bedeutung ist.“

Ihre damalige Partnerin und auch sie selbst waren jedoch davon ausgegangen, dass das Outing das Ende ihrer Karriere bedeuten würde. Doch die Reaktionen auf ihre aufsehenerregende Offenheit waren das genaue Gegenteil. „Mein Leben wandelte sich zum Guten; von einem Moment zum anderen von schwarz/weiß zu bunt. Nach 52 Jahren.“
Doch nicht nur das. Ihre Offenherzigkeit änderte gleichzeitig auch die Art, wie in der Geschäftswelt über Diversity gedacht wird.
„Unsere Führungsebene war sehr stolz auf mich, ich bekam Anrufe und Emails von Jugendlichen und Eltern und bei einem der darauffolgenden öffentlichen Auftritte stehende Ovationen, die mich zu Tränen rührten.“

Mit ihrer spontanen Outing habe sie in diesem Moment mehr bewegt als jemals zuvor in ihrem Leben, erzählt Rolemodel Brooke-Marciniak. „Ich verstand es als meine Aufgabe und Verpflichtung. Wer sollte es tun, wenn nicht ich?“

Business Case – „Der Imperativ des Marktes“

Die besten Talente zu bekommen sei ein Aspekt der Business Case-Perspektive bei der Schaffung eines LGBT*IQ-wertschätzendes Arbeitsumfeldes, leitet Albert Kehrer den zweiten Schwerpunkt des diesjährigen Dinner-Gespräches ein und die EY-Chefin ergänzt: „Es geht um den Imperativ des Marktes. Wir müssen so divers wie unsere Kunden sein. Ob hinsichtlich der Funktionalität, der Qualität oder der Innovation – in der Gesamtsumme sind wir so überall besser.

„Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen, die sich auf den Stellenwert von LGBT*IQ fokussieren, auch in allen anderen Bereichen von Inklusion und Diversity, beispielsweise in der Frauenförderung, gut aufgestellt sind.“

Eine große Hürde sei jedoch die schwierige Messbarkeit der Effekte von Maßnahmen für die Belange von Lesben, Schwulen und transidenten Menschen im Unternehmen.
„Ich weiß“, antwortet Brooke-Marciniak darauf, „in den meisten Ländern ist es nicht möglich sich im Unternehmen als LGBT*IQ zu identifizieren.“ Deshalb sei es schwer die Wirkung von LGBT*IQ-akzeptierender Unternehmenspolitik zu bewerten. „Das macht aber nichts. Denn wir wissen, dass sie einen Mehrwert bedeutet.“
Wer allerdings darauf verzichte, weil der Wert nicht messbar sei, der suche nach Ausreden.

Auf die pointierte Frage ihres Gesprächspartners, ob LGBT*IQ-Belange im Unternehmen tatsächlich notwendigerweise so hohe Priorität genießen müssten, antwortet Brooke-Marciniak wiederum entschieden: „Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen, die sich auf den Stellenwert von LGBT*IQ fokussieren, auch in allen anderen Bereichen von Inklusion und Diversity, beispielsweise in der Frauenförderung, gut aufgestellt sind.“

Verbündete – „Die Welt verändern, Sicherheit geben“

Bei mittlerweile hereingebrochener Dunkelheit vor den Lichtern der Frankfurter Skyline eröffnet Kehrer das letzte Drittel des Kamingesprächs mit der Frage, warum es wichtig sei  als Unternehmen ein LBGT*IQ-Verbündeter zu sein. Immerhin unterstütze EY sowohl in Großbritannien als auch den USA diese Personengruppe im Unternehmen gezielt.

„Weil wir Werte haben“, gibt Brooke-Marciniak ohne zu zögern zurück. „Wir alle sind weltweit aktiv. Doch auf die Gesetze der einzelnen Länder haben wir keinen Einfluss. Viele davon laufen in die falsche Richtung, sind sogar rückwärtsgewandt und Populismus breitet sich aus. „Unsere Fußspuren können die Welt verändern.“

Auf Kehrers Frage wie der Einzelne sich im Unternehmen zum Verbündeten seiner LGBT*IQ-Kolleg_innen machen kann, zeigt das EY-Vorstandsmitglied Brooke-Marciniak eine Reihe von Handlungsmöglichkeiten auf: Zum Beispiel neugierig sein und keine Angst davor haben. Denn es gehe nicht nur immer um die konkreten Anliegen der lesbisch-schwulen-trans*-Bevölkerung, sondern um grundlegendes Verständnis. „Eines Tages kann es auch dich berühren.“
Erst neulich habe sie in Davos am Rande des Weltwirtschaftsforums mit einem dankbaren CEO gesprochen, dessen Tochter sich unlängst  als homosexuell geoutet habe. Die vorherige Auseinandersetzung mit Thema habe ihm dabei sehr geholfen.

Und es gebe den „Wow, sogar auch der“-Effekt, wenn Persönlichkeiten aus der Unternehmensspitze sich öffentlich als Verbündete der LGBT*IQ-Menschen in ihren Unternehmen zu erkennen gäben und so für diese Mitarbeiter_innen eine bedeutende Sichtbarkeit ermöglichten, die weder für die Personalabteilung noch für die LGBT*IQ-Gruppen selbst in dieser Form erreichbar sei.

Wichtig sei auch, geouteten Beschäftigten Hilfsbereitschaft zu signalisieren, Zeit zu lassen aber bei Bedarf unterstützend zur Seite zu stehen. „Manche gehen nämlich lieber wieder zurück in ihr Versteck, wenn sie den Eindruck haben, dass sie ihrem Boss nicht vertrauen können und nicht wissen ob ihre Offenheit wirklich Sicherheit bedeutet.“

So komme es, dass 70 Prozent der ungeouteten Mitarbeiter_innen über kurz oder lang das Unternehmen verlassen würden. Deshalb sei es wichtig mit ihnen ins Gespräch zu kommen um zu erfahren, was noch zwischen ihnen und ihrem Outing steht. „Vor allem aber ist es wichtig die Gespräche mitzubekommen, die so heute nicht mehr stattfinden sollten und dagegen zu halten, denn das kriegen auch die noch ungeouteten mit“, so Beth Brooke-Marciniak am Ende des Gesprächs.

Video vom Fireplace-Chat mit Beth Brooke-Marciniak

Im Gespräch mit… Joschua Thuir

Berufliche Trans*parenz? Etikettenschwindel nach Vorschrift

Privat heterosexueller Mann, im Dienst homosexuelle Frau – verwirrt? Willkommen im Werdegang von Joschua, der sich selbst über fünf Jahre seiner Polizeilaufbahn zu einem Doppelleben gezwungen sah. Eine Geschichte über berufliche Transparenz, Mut und gesellschaftlichen wie gesetzlichen Nachholbedarf.

Joschua Thuir arbeitet als Polizeivollzugsbeamter bei der Bundespolizei am Flughafen Frankfurt, meist in der Ein- oder Ausreisekontrolle. Zu seinen Aufgaben gehört auch die Bestreifung im öffentlich zugänglichen Bereich der Terminals. In seiner Freizeit engagiert Joschua sich unter anderem bei der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti), beim Verband lesbischer und schwuler Polizeibediensteter Deutschland e.V. (VelsPol), sowie bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Über diese Netzwerke unterstützt er Opfer von Homo- und Transphobie, teilt Erfahrungswerte und schult rechtliche Sicherheit im Umgang mit trans*/inter* Personen.

Aus welchem Grund engagierst Du Dich so stark für LGBT*IQ?

 

Joschua Thuir: Es gibt mehrere Gründe. Einer davon ist meine persönliche Geschichte. Als ich 19 Jahre alt war und mich noch in der Ausbildung befand, stellte ich fest, dass ich mich nicht länger mit der mir bei der Geburt zugeordneten weiblichen Geschlechterrolle identifizieren konnte. Auf der Arbeit habe ich mich jedoch erst mit 25 Jahren als Transmann¹ geoutet, da ich befürchten musste, meinen Beruf zu verlieren, wenn ich meine wahre Identität bereits vor der Verbeamtung auf Lebzeiten preisgebe.

¹Transmann ist die selbstgewählte Bezeichnung des Interviewpartners. PROUT AT WORK verwendet den Begriff trans* adjektivisch um der Fülle nicht-binärer Personenkonzepte in Bezug auf geschlechtliche/sexuelle Identität Rechnung zu tragen.

Transidentität als Hindernis für die Verbeamtung?

 

Joschua Thuir: Indirekt ja. Bei der Polizei gibt es gesundheitliche Voraussetzungen, festgehalten in der Polizeidienstvorschrift 300 (PDV300). Diese werden vor der Einstellung, sowie zur Beendigung der Probezeit überprüft. Die PDV300 unterscheidet zwischen Männern und Frauen. Bei meiner ursprünglichen Einstellung als Frau erfüllte ich die weiblichen Kriterien, später jedoch nicht die männlichen. Zum Beispiel benötigen Männer mindestens einen funktionierenden Hoden – für einen Transmann nach derzeitigem medizinischen Stand nicht möglich.

Ein Coming-Out in der Ausbildungs- sowie Probezeit kam für mich demnach nicht in Frage. Die Ausschlusskriterien veranlassten mich ein Doppelleben zu führen, um meinen Beruf weiter ausüben zu dürfen: Über fünf Jahre lang lebte ich privat als heterosexueller Mann, ging aber als homosexuelle Frau zum Dienst.

„Die Angst, dass rauskommt, dass ich alle anlüge war allgegenwärtig.“

Hatte dieses Versteckspiel Auswirkungen auf Deinen Job?

 

Joschua Thuir: Definitiv. Die Angst, dass rauskommt, dass ich alle anlüge war allgegenwärtig. Die weibliche Legendierung verlangte dazu unglaublich viel Organisation, Konzentration und Schlagfertigkeit von mir. Ich musste z.B. auf weibliche Pronomen reagieren, obwohl ich mich nicht angesprochen fühlte. Darüber hinaus gibt es bei der Polizei geschlechterbezogene Maßnahmen. Zwei ganz konkrete Beispiele: Durch entsprechende Formvorschriften, die ausschließlich gleichgeschlechtliche Durchsuchungen erlauben (insofern keine lebensbedrohliche Situation besteht) wurde ich regelmäßig zu Durchsuchungen von Frauen herangezogen. Weiterhin führte ich häufiger unverschleierte Lichtbildabgleiche von verschleierten Frauen bei der Passkontrolle durch. Dies führte gelegentlich zu Missverständnissen aufgrund meines doch eher männlichen Aussehens.

Wo liegen Deines Erachtens weitere Berührungspunkte von geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung mit Deinem Beruf?

 

Joschua Thuir: Als Polizist arbeite ich mit dem Gesetz. Unser Grundgesetz kennt bisher jedoch nur zwei Geschlechter. Es heißt dort: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Die Formulare der Polizei sind daher binärgeschlechtlich, eine Dritte Option zur Geschlechtsangabe ist bislang nicht vorhanden. Allerdings soll sich dies zum Ende des Jahres ändern und ein drittes Geschlecht im Gesetz implementiert werden.

Immer öfter sind Transidente und intergeschlechtliche Personen in Besitz eines Ergänzungsausweises. Dieser Ausweis kann in Kontrollsituationen ergänzend ausgehändigt werden und klärt über die Rechtslage und die Identität der Person auf. Quasi ein Hilfsmittel für die Polizei. Allerdings ist dieser Ausweis noch recht unbekannt.

Im Bereich des Asylgesetzes gibt es auch Schnittstellen. Die Verfolgung homosexueller sowie transidenter Personen ist mittlerweile als Fluchtgrund anerkannt. Im Rahmen des Asylverfahrens müssen diese Personen zum einen die Verfolgung, zum anderen aber auch ihre Orientierung bzw. geschlechtliche Identität dem Bundesamt für Migration- Flüchtlinge als bearbeitende sowie entscheidende Stelle nachweisen. In meinem beruflichen Alltag kam es vor, dass Personen aus diesen Gründen ein Asylbegehren mir gegenüber geäußert haben.

Welche beruflichen Erfahrungen hast Du denn nach Deinem lesbischen Coming-Out gemacht?

 

Joschua Thuir: Ich hatte ja mehrere Coming-outs. In der Ausbildung habe ich mich als vermeintlich lesbisch geoutet – mit einigen negativen Reaktionen der anderen Anwärter_innen. Es kam zu einigen verbalen Angriffen wie zum Beispiel „Mannsweib“ oder zu nonverbalen Schikanen, wie das Amüsieren über mein äußerliches Erscheinungsbild in der Gruppendusche. Von meinen damaligen Vorgesetzten fühlte ich mich mit den täglichen Problemen ebenfalls alleingelassen. Als für mich klar war, dass ich mich als Mann identifiziere, habe ich mich in der Ausbildung niemanden mehr anvertraut. Daran erinnere ich mich nicht gerne zurück. Leider hatte ich damals nicht den Mut und die Kraft, mich an die nächsthöhere Instanz zu wenden und mir fehlten Informationen z.B. zu VelsPol um auf anderem Wege um Hilfe zu bitten.

„Kollegen aus dem Fortbildungsbereich waren nach meinem Outing sehr daran interessiert meine Expertise zu nutzen.“

Und wie waren Deine Erfahrungen, als Du Dich als Transmann geoutet hast?

 

Joschua Thuir: Als ich mich dann nach den erwähnten fünf Jahren als Transmann bei der Bundespolizei outete, erfuhr ich deutlich positivere Reaktionen, aber auch hier kristallisierten sich einige Wenige mit fehlenden sozialen Kompetenzen heraus

Der nächste Schritt müsste von weiter oben kommen, bisher habe ich darauf leider vergeblich hingewiesen. So muss ich damit leben, dass es Kollegen gibt, die mich ignorieren, selbst wenn man gemeinsam Streife läuft und sich eigentlich blind aufeinander verlassen muss. Ich musste lernen damit umzugehen.

Kollegen aus dem Fortbildungsbereich waren nach meinem Outing sehr daran interessiert meine Expertise zu nutzen. Gemeinsam mit einem weiteren transidenten Kollegen sollte ich einen Vortrag für die Luftsicherheitsschulung erstellen. Hierzu wurde ich sogar für 2 Tage nach Berlin entsendet.

Wie sind Deine Vorgesetzten mit Deinem Outing umgegangen?

 

Joschua Thuir: Meine damaligen Vorgesetzten recht unterschiedlich, im großen Ganzen positiv bis unbeholfen. Ich habe eine Polizeitrainerin gebeten, mich gegenüber meinen direkten Vorgesetzten zu outen und sie zu bitten das in der Hierarchie weiterzugeben. Dies, um allen die Möglichkeit zu gegeben, ins Transsexuellengesetz zu schauen und um sich vor einem Gespräch mit mir mit dem Thema vertraut zu machen. Leider gab es trotzdem Verwirrungen auf allen Seiten, die sich leider nicht immer in Klarheit oder gar Wohlgefallen auflösen konnten.

In solchen Fällen kommt es, wie so oft, auf jede_n Einzelne_n an. Engagierte Vorgesetzte nehmen Diskriminierungen den Wind aus den Segeln. Andere wiederum sind weniger (pro)aktiv oder gar konfliktscheu.

„Zuletzt wünsche ich mir, dass man sich als LGBT*IQ Person weder in der Ausbildung, noch an der späteren Dienststelle alleingelassen fühlt und niemand mehr Angst vor einem Coming-Out in der Behörde haben muss.“

Was wünschst Du Dir zukünftig für die Sichtbarkeit von LGBT*IQ an Deinem Arbeitsplatz?

 

Joschua Thuir: Ich wünsche mir, dass LGBT*IQ-Sachverhalte in der Aus- und Fortbildung implementiert werden, da Fehlverhalten meist aus Unwissenheit und Unsicherheit resultiert. Polizeibedienstete sollten auf Ausnahmeregelungen zumindest aufmerksam gemacht werden, um ihre Aufgaben auch den etwa 10 % der Bevölkerung gegenüber, die nicht heterosexuell oder cisgeschlechtlich² sind, selbstbewusst und rechtssicher erfüllen zu können.

Darüber hinaus wünsche ich mir, dass die Bundespolizei dem Leitbild entsprechend Stellung zu LGBT*IQ Mitarbeiter_innen bezieht, zu dem Themenbereich mehr Aufklärung leistet und die PDV 300 durch das Bundesministerium des Innern derartig überarbeiten lässt, damit Trans- und intergeschlechtliche Personen nicht ohne Weiteres als polizeidienstuntauglich eingestuft werden können. Zuletzt wünsche ich mir, dass man sich als LGBT*IQ Person weder in der Ausbildung, noch an der späteren Dienststelle alleingelassen fühlt und niemand mehr Angst vor einem Coming-Out in der Behörde haben muss. Hierzu müsste die Bundespolizei die Anzahl der beauftragten Ansprechpersonen erhöhen und den Adressatenkreis von LS auf LSBTIQ erweitern, so wie es bei einigen Landespolizeien bereits der Fall ist. Diese Beauftragung soll nicht nur ein Nebenamt ohne Verpflichtungen bedeuten, sondern auch aktiv für Sensibilisierungs- bzw. Antidiskriminierungsarbeit innerhalb und außerhalb der Behörde genutzt werden. Erste Schritte in die richtige Richtung sind bereits erfolgt – ich würde mich freuen diesen Weg gemeinsam mit der Unterstützung der Behörde fortzusetzen.

²Der Begriff bezeichnet Menschen, deren Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.

Im Gespräch mit… Jens Schadendorf

„Auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut.“

Jens Schadendorf ist Ökonom, Global Book Consultant und daneben Autor sowie freier Diversity-Forscher am Lehrstuhl für Wirtschaftsethik der TU München.

Zuvor war er als Buchverleger lange Programmleiter, u.a. bei SpringerGabler, Econ und Herder, und verantwortete viele Bestseller, u.a. von Jack Welch, Dalai Lama, Elie Wiesel, Bill Clinton, Michael Porter, Don Tapscott sowie Hans-Werner Sinn, dessen Lektor er bis heute ist.

Zahlreiche Auszeichnungen und Veröffentlichungen, darunter “Der Regenbogen-Faktor. Schwule und Lesben in Wirtschaft und Gesellschaft”, Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Hamburg und Fribourg sowie – mit einem Stipendium des Schweizer Nationalfonds – in Singapur und Bangkok.

Herr Schadendorf, mit Ihrem Buch „Der Regenbogen-Faktor“ haben Sie vor ein paar Jahren viel Resonanz in Medien, Unternehmen und Unis erfahren. Es schien, als sei der Business Case vielen noch nicht bewusst gewesen. Sie schreiben jetzt wieder an einem Buch zu LGBTI*IQ im Arbeitskontext. Hat sich aus Ihrer Sicht etwas verändert?

 

Jens Schadendorf: Ja. Wobei ich hier zunächst sagen will: „Der Regenbogen-Faktor“ bezieht sich auf Deutschland, und dort zu etwa zwei Dritteln auf die Wirtschaft. Mein neues Werk, das nächstes Jahr auf deutsch und englisch erscheinen wird und für das ich gerade bis nach Ostasien, Südafrika, Nordamerika, Moskau, Rom, Paris oder Amsterdam unterwegs bin, hat den ausschließlichen Fokus „Global Business“. Für den deutschsprachigen Raum gilt in der Tat:  Die Sensibilität für den Business Case LGBT*IQ ist gewachsen. Allerdings ist zugleich zu differenzieren: Die Unternehmen etwa sind deutlich weiter als vor vier, fünf Jahren, aber doch auf sehr unterschiedlichen Niveaus unterwegs. Nur weil man zum Beispiel im Juni für ein, zwei Wochen eine Regenbogen-Flagge über dem Firmensitz hisst oder es den MitarbeiterInnen ermöglicht, bei einem CSD-Umzug im Firmen-T-Shirt mit Rainbow-Logo mitzulaufen, hat man nicht zwingend verstanden, welchen Chancen im Business Case LGBT*IQ liegen.  Dennoch ist beides auch ein guter Anfang, um Sichtbarkeit, Bewusstsein und Wertschätzung für LGBT*IQ und den Business Case dazu zu verbessern oder gar erst anzustoßen. Global operierende „Corporates“ sind in diesem Prozess in Deutschland viel dynamischer unterwegs als noch vor einem halben Jahrzehnt, auch wenn es bei ihnen nach wie vor Defizite gibt. Aber, wie heißt es so schön: Auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut.

Wichtig für den nächsten Entwicklungssprung wäre u.a., mehr aktive geoutete „Role Models“ auch an der Spitze zu haben. Ich weiß, wie sich das anfühlt – ich war selbst viele Jahre erst in der dritten, dann in der zweiten und schließlich in der ersten Führungsebene unterhalb der Geschäftsleitung angesiedelt. Geoutet. Deutsche LGBT*IQ Top-Dogs sind in dieser Hinsicht leider insgesamt, gemessen an ihren englischsprachigen Kollegen jedenfalls, eher zurückhaltend. Bei allem Verständnis für legitime Karriereziele und unterschiedliche persönliche Wege zum Glück: Mich ärgert das. Wem – als Top LGBT*IQ – viele Talente und Chancen gegeben sind, der muss über Macht, Status und Geld hinauswirken lernen. Oder er bzw. sie steht für das gleiche „Eliten-Versagen“, das heute – nicht selten zu Unrecht – beklagt wird. Was ist das für ein Leben, in dem man für alles den Preis, aber nicht den Wert kennt?  Klingt das zu „moralisch“ oder zu „schwer“? Unsinn. Feiern lassen sich Arbeit und Leben trotzdem.

„Was ist das für ein Leben, in dem man für alles den Preis, aber nicht den Wert kennt? Klingt das zu „moralisch“ oder zu „schwer“? Unsinn. Feiern lassen sich Arbeit und Leben trotzdem.“

PROUT AT WORK wird im Wesentlichen von Unternehmen unterstützt. Sie haben unsere Stiftung 2017 sowohl durch eine Spende als auch durch eine Zustiftung gefördert – vielen Dank dafür! Wieso war Ihnen das ein Anliegen? Warum ist es Ihrer Ansicht nach wichtig, dass auch Privatpersonen die Ziele von PROUT AT WORK finanziell unterstützen?

 

Jens Schadendorf: Als bodenständiger Hamburger und als im Ausland zur Rationalität „erzogener“ Wirtschaftswissenschaftler neige ich nicht zur Übertreibung. Allerdings lasse ich mich auch gerne begeistern. Und ich finde die Idee, für die die PROUT AT WORK Foundation steht, großartig. Sie sucht in Deutschland ihresgleichen. Auch ist mir bekannt, dass der Weg zur Stiftung kein einfacher war. Dass er gegen alle Widrigkeiten gegangen und die PROUT AT WORK Foundation 2013 gegründet werden konnte, weiß ich daher sehr zu schätzen. Wie ich überhaupt jegliches unternehmerisches Handeln, das bereit ist, Risiken einzugehen, um etwas „Sinnvolles“ zu befördern, unterstütze. Und dies umso mehr, wenn es sich – wie bei Stiftungen – auf die Verbesserung „gesellschaftlicher Zustände“ bezieht.  Genau das will ja PROUT AT WORK auch, nämlich: „dass die Arbeitswelt offen ist für alle Menschen, unabhängig von deren sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität, dem geschlechtlichen Ausdruck oder geschlechtlicher Eigenschaften/Merkmale.“ So jedenfalls steht es auf der Website und so ähnlich steht es in den Regularien der Stiftung.

Ich bin, wie gesagt, selbst schwul. Und ich war und bin in der Arbeitswelt ökonomisch und auch sonst recht erfolgreich, früher als angestellter Buchverleger und heute als selbstständiger Global Book Expert und Publizist. Es mag altmodisch klingen, aber das ist mir egal: Ich kann durch mein Wirken als Buchautor zu LGBT+-Business-Themen etwas zurückgeben an die Gesellschaft, die mir einiges ermöglicht hat. Und das gleiche will ich – auf ganz andere Weise – durch mein privates Stiftungsengagement bei PROUT AT WORK tun. Jeder muss selbst wissen, wie er sein Leben lebt und wie er für das einstehen will, was ihm wichtig ist. Aber vielleicht ermuntere ich durch mein Handeln ja auch andere, es mir nach zu tun.

„PROUT AT WORK bündelt aktuelle und relevante LGBT+IQ Informationen, bereitet sie auf, vernetzt, berät, ermöglicht wechselseitiges Lernen – als Stiftung und damit über alle Institutionen hinweg.“

Wie sehen Sie die Rolle von Organisationen wie PROUT AT WORK?

 

Jens Schadendorf: Sie ist sehr zentral. Das eine sind ja die Aktivitäten zum Thema LGBT*IQ von Unternehmen oder anderen Institutionen. Das andere aber ist das, was  PROUT AT WORK leistet: überorganisationelle Pressearbeit und Durchführung von Veranstaltungen zum Abbau von Homophobie und Diskriminierung im Arbeitsumfeld, die Beauftragung von Studien über Diskriminierung und Homophobie im  Joballtag, die Veröffentlichung von Ratgebern und Infomaterial zum Nutzen einer wertschätzenden diskriminierungsfreien Kultur im Job oder die Zusammenarbeit mit ausländischen Vereinigungen und Verbänden vergleichbarer Zielsetzung.

All dies kann kein einzelnes Unternehmen auf den Weg bringen. PROUT AT WORK bündelt aktuelle und relevante LGBT*IQ-Informationen, bereitet sie auf, vernetzt, berät, ermöglicht wechselseitiges Lernen – als Stiftung und damit über alle Institutionen hinweg. „For a higher good“ sozusagen. Und zugleich zum Nutzen von Unternehmen und Organisationen, von Führungskräften und Mitarbeitenden. Denn LGBT*IQ Diversity Management weist ja – wie Studien belegen – weit über den Diskriminierungsschutz für sogenannte sexuelle Minderheiten hinaus. Es fokussiert vielmehr vor allem auch auf die mit ihm zu befördernden ökonomischen Chancen und Potentiale – für alle Beteiligten. Dass das Bewusstsein für diese Zusammenhänge unterfüttert und gestärkt wird: Dafür stehen nicht zuletzt die Aktivitäten von PROUT AT WORK, vorangetrieben von ihren Initiatoren und Machern Albert Kehrer und Jean-Luc Vey.

PROUT EMPLOYER Linklaters

„Für unsere Kanzlei liegt der Vorteil auf der Hand: vielfältige Teams sind vielseitiger, kreativer und damit auch erfolgreicher.“

Dr. Sebastian Daub ist Rechtsanwalt und Partner bei Linklaters in Frankfurt am Main. Nach seinem ersten juristischen Staatsexamen absolvierte er ein LL.M-Studium in Atlanta und das Bar Exam in New York. Daraufhin wurde er zum Dr. jur. promoviert und stieg nach seinem Rechtsreferendariat als Associate bei Sullivan & Cromwell ein. Zwei Jahre später wechselte er in gleicher Funktion zu Linklaters, wo er im weiteren Verlauf zunächst Managing Associate und daraufhin zum Partner ernannt wurde. Seine Spezialisierung liegt in Private Equity, M&A und Joint Ventures sowie im Gesellschaftsrecht.

Diversity ist in den großen angelsächsischen Kanzleien lange ein Thema. Wie reagiert die Belegschaft darauf, dass jetzt auch der Fokus auf LGBT*IQ gesetzt wird?

 

Dr. Sebastian Daub: Ganz überwiegend positiv! Manche Kollegen fragen, ob das Engagement überhaupt noch erforderlich ist.  – Aus der Sicht eines hetero Mannes ist es eben mitunter schwieriger zu sehen, ob und in welcher Form LGBTs doch noch mit Vorurteilen und womöglich Diskriminierung zu kämpfen haben oder sich allein wegen der Ungewissheit, wie die Kollegen reagieren, nicht trauen, out zu sein. Um ehrlich zu sein, war es längst überfällig, dass wir neben unserem erfolgreichen Diversity Programm „Ally“ ein spezielles Netzwerk für unsere deutschen LGBT-Mitarbeiter anbieten und so ein weiteres Zeichen für Offenheit und Vielfalt setzen. Niemand soll das Gefühl haben, seine Identität verstecken zu müssen. Und für unsere Kanzlei liegt der Vorteil auf der Hand: vielfältige Teams sind vielseitiger, kreativer und damit auch erfolgreicher. Ferner hat Jean-Luc kürzlich in einem Vortrag bei uns eine Studie zitiert, wonach die Mehrheit der LGBTs ihre sexuelle Orientierung am Arbeitsplatz noch immer verschweigt und rund ein Viertel der Energie verschwendet wird, sich ein Konstrukt nach außen zurecht zu legen. Das ist erschreckend und ermutigend zugleich. Ermutigend deshalb, weil wir durch ein offenes environment offensichtlich unsere Produktivität weiter steigern können. Das überzeugt eben auch Nicht-Betroffene.

„Durch die PROUT EMPLOYER-Kooperation versprechen wir uns neue Impulse und Denkanstöße. Wir Anwälte leben ja von unseren Netzwerken und durch die Kooperation eröffnen wir ein weiteres Netzwerk und helfen unseren LGBTs, beruflich noch erfolgreicher zu sein.“

Welche Ziele verfolgen Sie mit der PROUTEMPLOYER-Kooperation?

 

Dr. Sebastian Daub: Auch wenn wir bereits ein LGBT-Netzwerk ins Leben gerufen haben, sehen wir viel Potential, das Engagement in unserer Kanzlei gegen Homo- und Transphobie weiter auszubauen und so unsere Unternehmenskultur weiter zu verbessern. Wir wollen nach innen und außen ein Signal setzen. Durch die PROUT EMPLOYER-Kooperation versprechen wir uns neue Impulse und Denkanstöße. Wir Anwälte leben ja von unseren Netzwerken und durch die Kooperation eröffnen wir ein weiteres Netzwerk und helfen unseren LGBTs, beruflich noch erfolgreicher zu sein. – Und auch hier wieder: win-win!

Welche Aktivitäten gibt es bei Linklaters zu LGBT*IQ-Diversity?

 

Dr. Sebastian Daub: Wir setzen uns bereits seit Jahren für Vielfalt in unserem Unternehmen ein. In London, New York, Tokio und anderen Standorten unserer Kanzlei haben wir bereits seit langem etablierte LGBT-Communities. In Deutschland, wo unser Netzwerk für unsere LGBT-Mitarbeiter noch recht jung ist, wollen wir es ebenfalls ausbauen und als Plattform etablieren, auf der sich Kollegen über aktuelle Themen, Veranstaltungen, news etc. updaten oder die sie einfach für einen Erfahrungsaustausch nutzen können – gerade auch für neue Kollegen, die das environment noch nicht kennen. Die Vernetzung innerhalb der Linklaters Organisation ist ebenso wichtig. Ich schaue beispielsweise gerne nach Hong Kong, wo die Organisation Community Business das Engagement unserer dortigen Kollegen letztes Jahr mit dem Silver Standard des LGBT + Index ausgezeichnet hat. Wir sind damit die erste und bislang einzige Kanzlei des Magic Circle, der der Silver Standard verliehen wurde. Da will ich in Deutschland auch hin.

Sie sind der Diversity Sponsor bei Linklaters. Warum ist es für Sie eine Herzensangelegenheit LGBT*IQ zu unterstützen?

 

Dr. Sebastian Daub: Ich habe zu viele Freunde, auch noch in meiner Generation, die mit dem Coming out hadern und darunter leiden, dass sie anders sind, als sie vorgeben zu sein. Gerade die Anwaltsbranche hinkt nach meiner Wahrnehmung der übrigen Gesellschaft da noch einen Schritt hinterher. Jede(r) von uns kann sein Potential und seine Talente aber nur ganz entfalten, wenn er/sie sich von seinem Umfeld (Kollegen wie Mandanten) akzeptiert und wertgeschätzt fühlt. Ich versuche, durch meinen Beitrag als Diversity Partner bei Linklaters einen kleinen Teil dazu beizutragen.

Wo sehen Sie die Herausforderungen zu LGBT*IQ Diversity in Ihrem Unternehmen in den kommenden Jahren?

 

Dr. Sebastian Daub: Unser Ziel ist eine Unternehmenskultur, in der die sexuelle Orientierung einfach keine Rolle spielt, weil es egal ist, ob der Kollege etc. „straight“ ist oder LGBT. Und egal eben nicht im Sinne von Ignoranz, sondern von Offenheit.  Die Herausforderung dabei ist aus meiner Sicht, dass wir durch die Diskussion, die wir zum Öffnen brauchen, nicht bei Einzelnen eine Gegenreaktion hervorrufen.

Lieber Herr Daub, vielen Dank für Ihre Zeit.
Im Gespräch mit… Claudia Brind-Woody

The cost of thinking twice – Die Kosten vom Doppelt Denken

Claudia Brind-Woody ist IBM-Vice President and Managing Director Intellectual Property Licencing. Sie arbeitet seit 1996 für IBM, unter anderem in unterschiedlichen globalen Führungspositionen und ist weltweit eine anerkannte Rednerin. In ihren Vorträgen und Büchern (Out & Equal at Work: From Closet to Corner Office, 2013 sowie The Glass Closet: Why Coming Out is Good for Business, 2014) wirbt sie für einen offenen und wertschätzenden Umgang mit sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität am Arbeitsplatz. Außerdem steht sie beratend unterschiedlichen LGBT-Platt formen, Initiativen und Institutionen, darunter Workplace Pride, Stonewall Global Diversity Champions sowie Out & Equal Workplace Advocates, OUTstanding zur Verfügung. Lambda Legal und das John C. Stennis Institute of Government. Claudia Brind-Woody wurde mit dem Out & Equal Trailblazer Award ausgezeichnet, und zahlreiche internationale Magazine führen sie als weltweit herausragende Persönlichkeit auf dem LGBT-Sektor.

“If you want to create value for your business, then make sure that you both have and value diversity.”

Zusammenfassung


 

Claudia Brind-Woody, IBM-Vice President and Managing Director Intellectual Property, beschreibt IBM als Unternehmen, in dem jeder Mensch willkommen ist erfolgreich tätig zu sein. Maßgeblich für die Unternehmenskultur sei, dass sich Mitarbeiter_innen als eigenständige und wertvolle Persönlichkeiten wahrnehmen. Denn wenn diese sich respektiert und geachtet fühlten, seien sie nicht nur deutlich produktiver, sondern auch wesentlich positiver gegenüber ihrer Beschäftigung eingestellt, sagt Brind-Woody. Sie verweist auf die Statistiken zahlreicher Studien, die belegen, dass die Produktivität am Arbeitsplatz um 30 Prozent sinkt, sobald Mitarbeiter_innen wesentliche Teile ihrer Persönlichkeit verstecken und Angst haben müssen, am Arbeitsplatz geoutet zu sein.

 

Die Auseinandersetzung mit den Themengebieten Diversity und Inclusion hat bei IBM eine lange Historie, die sich bis in die 1920er-Jahre zurückverfolgen lässt, so Brind-Woody. Verschiedene Richtlinien und Verbesserungen innerhalb des Unternehmens sorgten seitdem für einen fairen und gleichgestellten Umgang mit allen Mitarbeiter_ innen. Das Unternehmen vereine so Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen mit unterschiedlichen Hintergründen und physischen Voraussetzungen – alt und jung, Schwarz und weiß, homo- und heterosexuell. Entscheidend für alle sei die Frage, ob diese Menschen wertgeschätzt werden. In diesem Anspruch begründet sich IBMs Ansatz zur Inclusion.

 

Claudia Brind-Woody weist darauf hin, dass es sehr schwer sei, Erfolge von LGBT*IQ-Richtlinien an konkreten Zahlen festzumachen. Wichtig sei allerdings die Tatsache, dass alle aktuellen Untersuchungen darauf hinweisen, dass Innovation durch Diversity entsteht, was ein wichtiger Punkt für IBM als Innovationsunternehmen darstelle. Die Arbeit und das Engagement von IBM sei deshalb so wichtig, weil es noch immer Regionen und Gesellschaften gibt, in denen es illegal ist, LGBT*IQ zu sein. IBM unterstützt seine Mitarbeiter_innen auch dort, damit diese sicher und möglichst unbefangen arbeiten können.

 

IBM vertritt bei seinem Engagement drei Grundwerte:

  1. Engagement für den Erfolg jedes Kunden.
  2. Innovationen, die etwas bedeuten – für unser Unternehmen und für die Welt.
  3. Vertrauen und persönliche Verantwortung in sämtlichen Beziehungen.

 

Das Engagement im Bereich D&I hat sich für IBM als ein attraktives Geschäftsmodel bewährt, weil es „die Kosten vom Doppelt Denken” („The cost of thinking twice“) deutlich senken kann. Als solche versteht Claudia Brind-Woody zusätzliche Kosten, die durch suboptimale Produktivität entstehen. IBM, argumentiert sie, wolle zusätzliche Personalkosten durch Mitarbeiter_innen vermeiden, die sich am Arbeitsplatz verstellen und ihre eigentliche Persönlichkeit aufwendig verleugnen müssen. Ebenso soll ein Arbeitsplatzklima, das personelle Vielfalt wertschätzt, das Unternehmen für junge Talente und Fachkräfte attraktiv machen. Sie nicht anzusprechen, würde eine vergebene Chance und damit weitere vermeidbare Kosten bedeuten. Insgesamt wolle IBM nicht dafür bezahlen, intolerant zu sein und über zu wenig Innovationskraft zu verfügen, um zu wachsen. Um erfolgreich Wertschöpfung für das eigene Business zu betreiben, schließt Brind-Woody, sei es daher wichtig, Diversity zu haben und diese wertzuschätzen.

Claudia Brind-Woody

„Auch LGBT*IQ müssen mutig sein. Es ist ihre Entscheidung. Wir müssen ihnen jedoch auch die positiven Effekte des Coming-Out aufzeigen, statt wie bisher nur Nachteile damit zu verbinden.“

Claudia Brind-Woody arbeitet seit 1996 für IBM, ist Vice President des Unternehmens und zugleich Geschäftsführerin des Global Intellectual Property Licensing. Damit ist sie eine der einflussreichsten homosexuellen Frauen in der internationalen Geschäftswelt und eine Schlüsselperson in zahlreichen LGBT*IQ-Organisationen. Mehr als 40 davon fördert das IT- und Beratungsunternehmen mittlerweile in 30 Ländern und trägt durch diese offene Haltung dazu bei, dass sich auch in anderen Unternehmen eine LGBT*IQ-wertschätzende Unternehmensphilosophie etabliert. In den vergangenen Jahren war Brind-Woody nicht nur Preisträgerin mehrerer Gleichberechtigungspreise sondern auch ständige Vertreterin in den internationalen Rankings der einflussreichsten lesbischen Persönlichkeiten. Damit lebt sie vor, was sie von anderen Unternehmenslenker_innen einfordert und zum Titel ihrer Keynote für das DINNER BEYOND BUSINESS gemacht hat: „Authentic Leadership“.

Wer Claudia Brind-Woody zuhört, wenn sie über die Notwendigkeit und die Chancen einer LGBT*IQ-wertschätzenden Unternehmensphilosophie spricht, kann sich wechselnder Gemütszustände nicht erwehren. Wissendes Schmunzeln lässt sie auf den Gesichtern ihres Publikums erscheinen, wenn sie als Vice President von IBM erzählt, wie man ihr in Japan jüngst berichtet habe, dass es unter den Mitarbeitern keine Schwulen oder Lesben gäbe und somit kein Handlungsbedarf bestünde.
Denn natürlich wissen die Unternehmensvorstände und Senior Executives, die an diesem Abend auf Einladung der PROUT AT WORK-Foundation im Turm der Deutschen Bank AG zum DINNER BEYOND BUSINESS zusammen gekommen sind, dass es nicht so ist. Dass es in jedem großen Unternehmen einen Talentpool von Mitarbeiter_innen mit LGBT*IQ-Background gibt, der noch viel zu oft unerschlossen brach liegt.

Deshalb gelingt es Brind-Woody in ihrer Keynote auch gleich darauf mehrheitlich betretenes Schweigen im Publikum zu erzeugen, indem sie die Frage stellt, wer denn überhaupt über eine Liste der LGBT*IQ-Top-Talente im eigenen Haus verfüge? Nur wenige.

Als sie die Frage erweitert, ob es im Unternehmen die Möglichkeit zur freiwilligen Selbstidentifikation als LGBT*IQ gibt, ist fast keine Hand mehr erhoben.
Brind-Woody bedauert das, räumt aber ein, dass in Deutschland der strikte Datenschutz eine solche Selbstidentifikation verhindere: „Wenn wir nicht wissen, wer unter unseren Angestellten einen LGBT*IQ-Hintergrund hat, wie sollen wir sie dann gezielt fördern?

Auch ein Dinner-Gast fragt, wie man denn Mentoring-Programme für LGBT*IQ-Mitarbeiter_innen auflegen solle, ohne dass damit ein Coming-Out verbunden sei.
Brind-Woodys Antwort darauf ist überraschend aber unmissverständlich: „Auch LGBT*IQ müssen mutig sein. Es ist ihre Entscheidung. Wir müssen ihnen jedoch auch die positiven Effekte des Coming-Out aufzeigen, statt wie bisher nur Nachteile damit zu verbinden.“

Authentisches Führen bedeute eben auch Teams in vielfältiger Zusammensetzung zusammenstellen zu können.
Eine Fußballmannschaft, die nur aus Stürmern besteht, wird nie ein Spiel gewinnen. Ohne den Torwart in seinen grellen Farben funktioniert es nicht“, zieht Brind-Woody die Parallele zwischen Business und Sport. „Auch im Geschäftsleben geht es schließlich ums Gewinnen.“

‚Walk the Talk‘ – den eigenen Worten Taten folgen lassen

Claudia Brind-Woody arbeitet seit 1996 für IBM, ist Vice President des Unternehmens und zugleich Geschäftsführerin des Global Intellectual Property Licensing. Damit ist sie eine der einflussreichsten homosexuellen Frauen in der internationalen Geschäftswelt und eine Schlüsselperson in zahlreichen LGBT*IQ-Organisationen. Mehr als 40 davon fördert das IT- und Beratungsunternehmen mittlerweile in 30 Ländern und trägt durch diese offene Haltung dazu bei, dass sich auch in anderen Unternehmen eine LGBT*IQ-wertschätzende Unternehmensphilosophie etabliert.

„Was hilft es, wenn wir hier oben in der Unternehmensspitze tolle Strategiepapiere zu Diversity haben, aber gleichzeitig ein homophober Manager auf der mittleren Leitungsebene der beruflichen Laufbahn und damit dem Leben vieler unserer Talente mit LGBT*IQ-Background im Wege steht?“

In den vergangenen Jahren war Brind-Woody nicht nur Preisträgerin mehrerer Gleichberechtigungspreise sondern auch ständige Vertreterin in den internationalen Rankings der einflussreichsten lesbischen Persönlichkeiten. Damit lebt sie vor, was sie von anderen Unternehmenslenker_innen einfordert und zum Titel ihrer Keynote für das DINNER BEYOND BUSINESS gemacht hat: „Authentic Leadership“.
Darunter versteht sie den Auftrag die eigene Führungsrolle durch authentische Beziehungen zu den Mitarbeiter_innen zu legitimieren.
Kann ich als Vorgesetze_r die Worte ‚lesbisch‘ oder ‚transgender‘ so benutzen, so dass mein Gegenüber den Eindruck hat, dass es kein Problem ist, so zu sein?“

Das setze einen Führungsstil mit dem Herzen voraus, ohne Angst sich dadurch verwundbar zu machen. Aber auch, den eigenen Worten Taten folgen zu lassen. Wer sage, Vielfalt im Arbeitsumfeld sei wichtig, müsse auch etwas dafür tun.
Was hilft es, wenn wir hier oben in der Unternehmensspitze tolle Strategiepapiere zu Diversity haben, aber gleichzeitig ein homophober Manager auf der mittleren Leitungsebene der beruflichen Laufbahn und damit dem Leben vieler unserer Talente mit LGBT*IQ-Background im Wege steht?“

Betroffene Stille füllt den Saal im 35. Stock als Brind-Woody den Führungskräften im Publikum erklärt, weshalb auch heute noch viele LGBT*IQ ein Coming-Out im Beruf vermeiden. Sie erzählt von der steigender Zahl lesbischer, schwuler oder trans* Kinder und Jugendlicher in den USA, die von ihren Eltern aus dem Haus geworfen und in die Obdachlosigkeit getrieben würden. Von der ebenfalls steigenden Selbstmordrate unter diesen Teenagern.
Als muslimisches, jüdisches oder dunkelhäutiges Kind wird man möglicherweise auch auf dem Schulhof gemobbt. Aber man kommt nach Hause und findet bei seiner Familie Verständnis und Unterstützung, denn die Eltern sind selbst muslimisch, jüdisch oder dunkelhäutig. Bei lesbischen, schwulen, transidenten oder genderqueeren Kindern sind es die Eltern aber meistens nicht.“

Übertragen auf den Anspruch authentischer Menschenführung bedeute dies, zu lernen auch Mitarbeiter_innen motivieren und fördern zu können, die anders seien als man selbst.
Viele, auch sie selbst, seien bei benachteiligenden Entscheidungen oder verletzender Wortwahl in der Vergangenheit zu oft still gewesen. „Aber Schweigen ist kein Führungsstil“, bringt es Brind-Woody auf den Punkt.

Am Ende ihrer Keynote ruft sie dazu auf, als Führungskraft wagemutiger und selbstbewusster zu sein, auch wenn das bedeute gelegentlich gegen den Strom schwimmen zu müssen.
Natürlich ist es ist wunderbar erfolgreich zu sein. Aber noch stärker ist es Bedeutsames zu tun.“

Auch in diesem Jahr waren wieder fast 30 Vorstände und Senior Executives von Lufthansa, Vodafone, IBM, Commerzbank, Deutsche Bank, Fraport, Europäischer Zentralbank, Randstad Deutschland, Accenture, White & Case, Sandoz, Oliver, Wyman, Linklaters, Bayer, Procter & Gamble, Hogan Lovells Merck, der Mainzer Verkehrsgesellschaft, KPMG und Google der Einladung der PROUT AT WORK-Foundation gefolgt, um beim Dinner in lockerer Atmosphäre die Vorteile vielfältiger und chancengleicher Mitarbeiter_innenführung zu diskutieren.

Video der Rede von Claudia Brind-Woody: